
Gedanken zur Woche: Erinnerungskultur
30.01.2017
Gedanken zur Woche von Pastor Thieme-Hachmann, Kirchengemeinde Schleswig
Erinnerungskultur
Die sogenannte "Judensau": eine antijüdische Steinplastik, an der Stadtkirche zu Wittenberg - dem Predigtort Martin Luthers. Sie stellt ein Schwein da, an dessen Zitzen Menschenkinder säugen, die durch ihre Spitzhüte als Juden gekennzeichnet sind. Ein Rabbiner schaut dem Schwein in den Hintern. Das Perfide der Darstellung besteht darin, dass Juden im intimen Kontakt mit einem Tier gezeigt werden, das ihnen als unrein gilt. Martin Luther, der Reformator, den wir feiern, hat das Bild an "seiner" Kirche benutzt, um den jüdischen Glauben zu verhöhnen.
Eine Wanderausstellung über "Martin Luther und die Juden", die derzeit im Schleswiger Dom zu sehen ist, erinnert an diese Schattenseite des Reformators. Es schmerzt mich,zu lesen, mit welcher Aggressivität sich Luther, der "Stammvater" meiner Kirche, über die Religion geäußert hat, aus der unser Glaube hervorgegangen ist.
Der Ausstellung gegenüber gestellt sind Bilder vom Leben in jüdischen Gemeinden Norddeutschlands, wie sie in den letzten Jahren neu entstanden sind. Diese Bilder zeigen: die Katastrophe des Holocaust ist doch kein Ende. Es gibt Chancen für neue Begegnungen.
Am gestrigen Holocaustgedenktag wurde in vielen Ländern der Opfer des Nationalsozialismus gedacht, vor allem an Juden, aber auch an zahllose weitere Menschen, die "unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft entrechtet, verfolgt, gequält und ermordet wurden".
Erinnerungskultur: dazu gehört die Scham über die "Schande" unserer Geschichte, der Schmerz darüber, dass Täter von damals auch unsere Namen trugen, die Trauer, dass unser Glaube missbraucht wurde.
Aber sie beinhaltet auch eine Aufforderung an die Gegenwart: seht auf den Preis, auf die Opfer gesellschaftlicher Entscheidungen und Entwicklungen.
So hat es auch Jesus getan.