
Wort zur Woche: "Die Leidenschaft lebendig halten"
30.10.2020
Wort zur Woche von Pastor Lars Wüstefeld, Pfarrsprengel Ostangeln
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Mir kam neulich ein verrückter Gedanke: Ich stelle mir vor, die Evangelische Kirche und die Reformation hätten eine Liebesbeziehung. 503 Jahre ist eine wirklich lange Zeit. Da ist Krach vorprogrammiert – irgendwann schleicht sich ja überall der Alltag ein…
Die Reformation ist genervt. „Du bist eine waschechte Traditionalistin. Am liebsten möchtest du, dass alles immer so bleibt, wie es ist. »Das haben wir doch immer schon so gemacht« ist dein Motto. Langweilig!“ Mit rotem Kopf erwidert die Evangelische Kirche „Als ob! Du bist doch diejenige, welche niemals fünfe gerade sein lassen kann. Immer muss das Rad neu erfunden werden. »Ecclesia semper reformanda« – weißt du eigentlich, wie ermüdend das ist?!“ So eine Frechheit, das lässt sich die Reformation nicht gefallen. Weiß die Kirche eigentlich, wie sehr sich die Reformation von ihr vernachlässigt fühlt? „Ich habe manchmal das Gefühl, dass du mir nur noch zu unserem Jahrestag echte Aufmerksamkeit schenkst“, sagt sie und schluckt schwer. Die Evangelische Kirche ist sichtlich gerührt. Auf einmal wirkt der Strauß Blumen in ihrer Hand ganz schön jämmerlich. Sie seufzt „Ach, Liebling. Weißt du – ich bin ja nun auch nicht mehr die Jüngste … ich fühle mich von dieser schnelllebigen Gesellschaft oft ganz schön abgehängt. Und dann kommst auch noch du mit deinem ewigen Ruf nach Veränderung. Da weiß ich gar nicht, wo mir der Kopf steht.“
In Gedanken drücke ich auf die Vorspul-Taste. Dass die beiden wohl an ihrer Beziehung arbeiten müssen – dass einmal im Jahr ein Strauß Blumen nicht ausreicht – ist mir jetzt klar geworden. Eine gesunde Beziehung erfordert nun mal, dass sich beide Partner*innen miteinander weiterentwickeln. Und dabei das Feuer füreinander nicht aus dem Blick verlieren. Ein Kompromiss zwischen Tradition und Erneuerung, das wär’s doch! Denn eigentlich finden die Evangelische Kirche und die Reformation sich gegenseitig total klasse. Und, wenn sie ehrlich sind: Sie können auch gar nicht ohneeinander.