Foto: Johannes Ahrens

Wort zur Woche: "Noch da, wenn auch nicht hier"

20.11.2020

Wort zur Woche von Johannes Ahrens, Stadtpastor Flensburg

Am Sonntag zünden wir wieder Kerzen in den Kirchen an. Und denken dabei an Menschen, die wir gehen lassen mussten im zurückliegenden Jahr. Wir hören ihre Namen. Rainer. Greta. Axel. Maja. Väter waren sie oder Kolleginnen. Kinder sogar. Die beste Freundin vielleicht. Lebenspartner. Schwiegermütter womöglich. 

Sie sind nicht mehr hier. Aber noch da: Im Schmerz, wenn wir sie vermissen. Wenn niemand den Kaffee ans Bett bringt. Sich keiner mehr über den HSV aufregt. Und wird sie auch im Himmel diese unverschämt freche Lippe riskieren, die schon auf Erden sich sonst niemand getraut hat? Vermutlich. Die Engel werden rote Ohren bekommen. Oder werde ich je wieder „Deep Purple“ hören können, ohne sofort Peter vor mir zu sehen? Eher nicht. Die klappende Wohnungstür, die Stimme, der Geruch, der Weg an den Strand, die Erdbeere, die merkliebenswürdige Gewohnheit. Das alles ist nicht mehr. Aber noch da. Auch in der Trauer über das Versäumte. Wie den versprochenen Besuch. Nie eingelöst. Oder die Bitte um Verzeihung, die ich mir zu Lebzeiten einfach nicht abringen konnte. Der Dank, den ich doch noch hätte loswerden wollen. Eigentlich. Die Frage, die ich mich nie getraut habe zu stellen. Der Tod ist der Feind der Fahrradkette. Hätte. Hätte.

Sie alle, deren Namen wir am Sonntag nennen, sind nicht mehr hier. Aber noch da. Weil sie geleuchtet haben und etwas aus ihrem Leben noch nachflackert und hinüberleuchtet zu uns. Hineinleuchtet in das Leben von uns Hinterbliebenen, die wir weiterleben müssen. Weiterleben dürfen.

Im Schmerz, in der Trauer, im flackernden Licht (und wenn es manchmal nur ein glimmender Docht gewesen ist): Ja, da sind sie noch da. Vor allem aber sind sie deshalb noch da, weil wir ihnen jeden Tag ein Stück näher kommen. Sie sind uns nur vorausgegangen.