
Wort zur Woche: "Tugendhafter Ungehorsam"
12.09.2020
Wort zur Woche von Pastor Dr. Michael Dübbers, Schleswig
Es gibt so Momente, da wünschten wir uns gehorsamere Kinder. Wir wollen sie mit unseren Regeln ja nicht ärgern. Wir wollen für sie nur das Beste. Und was tun sie? Sie stellen sich taub. Sie provozieren. Sie tun absichtlich das, was sie nicht dürfen. Und wenn dann etwas danebengeht, gibt es ein großes Geschrei.
Wegen solcher Erfahrungen gilt ein gewisses Maß an Gehorsam durchaus als Tugend. Eltern wünschen sich gehorsame Kinder. Lehrer gehorsame Schüler. Pastoren gehorsame Konfirmanden. Der Staat gehorsame Bürger, und die Staatengemeinschaft gehorsame Staaten. Wer aus der Reihe tanzt, stört und kostet viel Energie.
Und doch gibt es Situationen, in denen Gehorsam genau das Falsche ist. Nämlich dann, wenn Unrecht geschieht. Wenn Menschen aus welchem Grund auch immer ausgegrenzt, verspottet und verfolgt werden. Wenn sich menschenverachtende Gedanken breit machen. Wenn unmenschliche Lebensbedingungen hingenommen werden, wie im Flüchtlingslager Moria auf Lesbos. Oder wenn ein Staat die Menschenrechte verletzt, wie in Weißrussland. Dann ist Ungehorsam angesagt. Dann heißt es: Aufstehen gegen das Unrecht. Dann heißt es, die Stimme zu erheben und die Dinge beim Namen zu nennen. Damit sich etwas zum Guten ändern kann.
Wir brauchen Menschen, die sich ihre eigenen Gedanken machen. Die daraus Konsequenzen ziehen, wenn es sein muss auch zum eigenen Nachteil. Die im richtigen Moment zu ihrer Überzeugung stehen und notfalls ungehorsam sind. Solcher Ungehorsam ist eine Tugend.
Ich wünsche mir also Kinder, Schüler, Konfirmanden, Bürgerinnen und Bürger unseres Staates, die ungehorsam sind. Nicht aus Prinzip. Nicht, um den eigenen Vorteil durchzusetzen, sondern um der Menschlichkeit, der Gerechtigkeit und der Freiheit willen. So wie Jesus es übrigens auch tat. Aufrichtig und beeindruckend klar.