Erato: Muse des Gesangs. Detaill der Nikolaiorgel in Flensburg (Foto: Yvonne Braasch)

Wort zur Woche: "Von der Kraft des Singens"

18.05.2019

Wort zur Woche von Michael Mages, Kirchenmusikdirektor und Stadtkantor in Flensburg

Klare Ansage: Singet dem Herrn ein neues Lied, denn er tut Wunder (Psalm 98).

Mir wird mir sofort klar, wie stark mein persönlicher Zugang zum Glauben über die Musik geprägt wurde. Aber woran denken Sie? An das Singen unter der Dusche oder beim Handballturnier? An Ihr Singen in einem Gottesdienst oder doch eher an peinliche Situationen im Musikunterricht?

Szenenwechsel: in Hamburg leitet mein Mann ein Ethikseminar, in dem sich angehende Altenpfleger einem heiklen Thema aussetzen: „Im Leben dem Sterben begegnen“. Gerold möchte ein Lied anstimmen. Prompte Ablehnung: „Wir können nicht singen...“. Er bleibt hartnäckig, das Lied wird gesungen. Noch Wochen später verlangt die Gruppe im Klassenraum: wir wollen unser Lied singen!

Heilig Abend, Krippenspiel in St. Nikolai, der Kinderchor singt „Ein heller Stern“. Es sind „nur“ 10 Strophen (gefühlt 3 Dutzend), die Kinder singen begeistert. Das Einstudieren war so einfach: Vorsingen – Nachsingen. In Rekordzeit können die Kinder alles auswendig, sie saugen Text und Musik förmlich auf.

Dann ist da noch Emil, ein siebenjähriger, eher introvertierter Junge mit wenig Kontakt zu Gleichaltrigen. Neu im Kinderchor entdeckt er schnell das Singen für sich und blüht auf. Nach einem Jahr gewinnt er den Vorlesewettbewerb an seiner Schule.

Der Seniorenchor besucht die Demenzstation. Überall alte Menschen, dahindämmernd, in ihrer Demenz versunken.

Der Chor stimmt Choräle an und das Unglaubliche geschieht. Viele der Alten beginnen plötzlich zu singen, alle Strophen von „Der Mond ist aufgegangen“ – auswendig!

Vier sehr unterschiedliche Szenen, aber alle zeugen von der Kraft des Singens, sei es am Anfang des Lebens oder an seinem Ende. Ich möchte Sie ermuntern: stimmen Sie wieder einmal Ihr ganz persönliches neues Lied an!