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Wort zur Woche: "Von Martins und Bettlern unserer Tage"

09.11.2018

Wort zur Woche von Pastorin Dr. Gönna Hartmann-Petersen, Krankenhausseelsorge St. Franziskus, Flensburg

„…hat Kleider nicht, hat Lumpen an…“ hörte ich Anfang der Woche die Stimme meines Sohnes aus seinem Kinderzimmer das Lied zu St. Martin singen. Die ganze Woche war der Heilige dabei. Die Holzfiguren wurden bewegt, das Schwert mal der Figur in die Hand gesteckt, St. Martin aufs Pferd gesetzt, dann wieder vor die Figur des Bettlers. Der Mantel geteilt und wieder zusammengesetzt.

In mir wuchs in diesen Tagen die Frage: Wie ist das mit der Bedürftigkeit? Angestoßen von der Figur des Bettlers kamen mir diese Gedanken. Es ist ja nicht nur der Bettler ein Bedürftiger. Wer muss frieren? Wer braucht Hilfe? Wer leidet Not? Wer muss zugedeckt werden?

Im Krankenhaus sind manche Antworten offensichtlich: Wer krank ist und pflegebedürftig, braucht eine Reihe von Martins. Draußen auf den Straßen sehe ich sie auch, die Bettler der (Post)Moderne: Verarmte, vernachlässigte Kinder, vereinsamte Alte, links liegen Gelassene überall.

Neben dem St. Franziskus sehe ich die gefühlt kilometerlange Schlange zur Flensburger Tafel. Zahlreiche Martins müssen da sein und sie sind es auch, ganz bescheiden und unermüdlich sind sie da und geben ab, was sie übrig haben an Geld und Gut, an Zeit und Zuneigung. Mit mehr als 1500 Jahren Abstand lassen sich auf unseren Straßen und in unseren Pflegeeinrichtungen und auch in Wohngruppen für Kranke und Behinderte und an zahlreichen anderen Orten jeden Tag neue Martinslegenden schreiben, weil Menschen das tun, was der Heilige damals getan hat: teilen. 

Ich bin froh darüber, diese vielen Martins wahrgenommen zu haben und an mir gestern Abend in der Andacht im Krankenhaus gemerkt zu haben: Auch ich bin bedürftig. Als wir uns zum Segen gegenseitig in ein großes Tuch gehüllt haben, bekam ich eine Ahnung, was Martin bringt. Geborgenheit, Segen. Wie dem Bettler.