Information zur Geschichte und Kunstgeschichte unserer Kirche von Dr. W. Heiligendorff, Selk, 1984

Abseits vom städtischen Getriebe liegt am Südufer der Schlei, hart westlich der Einmündung des Haddebyer Noores eine kleine Feldsteinkirche, St. Andreas zu Haddeby. Eine Kirche, die "nicht im Dorfe steht", was seltsam erscheinen mag, an der alten Fahrstraße nach Kiel, die erst in jüngster Zeit zu der heutigen B 76 ausgebaut wurde. Einen größeren Ort, eine geschlossene Siedlung Haddeby findet man nicht vor. Der Kirche gegenüber, nördlich der Straße, liegt ebenso einsam das "Historische Gasthaus Haddeby", eine Wirtschaft, die erst 1828 errichtet wurde und keinen Zusammenhang mit der Kirche hat.

Stets erhebt sich die Frage, warum steht St. Andreas so verlassen am Nordrand eines räumlich so ungewöhnlich großen Kirchspiels, zu dem alle südlichen Schleidörfer gehören, das sich über die "Schleswigsche Geest" hinweg weit nach Süden bis zum Fuß der "Hüttener Berge" erstreckt und im Westen die Ortschaften am historischen Dannewerk einbezieht? Bis 1651 hatte auch das Dorf Friedrichsberg hier sein zuständiges Gotteshaus, bis es 1711 ein Stadtteil von Schleswig wurde und eine eigene Kirche erhielt. Unsere Kirche ist reich an Geschichte und alter Tradition, verbunden mit der frühgeschichtlichen Handelsstadt Haithabu am Haddebyer Noor und Ansgar, dem Apostel des Nordens. Sie besitzt ein kostbares Inventar wertvoller Kunstwerke, die veranschaulicht werden sollen. Sie gehört zu den ältesten Feldsteinkirchen im Lande Schleswig, die zum Teil schon auf das 12. Jahrhundert zurückgehen. Als "Kirche zu Haddeby" wird sie in alten Quellen schon 1295 und 1319 erwähnt, aber erst 1399 wird sie durch päpstliche Verordnung dem St. Andreas (St. Andree) geweiht, wie es die "Acta Pontificum Danica" ausweisen. Eine entsprechende Wiederholung erfolgte an gleicher Stelle 1418.

 

Ansgarkirche - Marienkirche oder Andreaskirche?

Besonders im Volksmund, aber auch im Schrifttum, auf Bildern und Ansichtskarten hieß unsere Kirche sehr lange Zeit "Ansgarkirche". Noch heute ist dieser falsche Name im Gespräch. Dem steht eindeutig entgegen, dass bereits 1399 und 1418 die päpstlichen Verordnungen - wie eingangs erwähnt - von der "St. Andreas-Kirche in Haddeby" berichten! Die Ansgartradition leitet sich von der Tatsache ab, dass der "Apostel des Nordens", Ansgar schon 849 in der frühgeschichtlichen Handelsstadt Haithabu am Haddebyer Noor eine Kirche gebaut hat. So beschreibt es sein Schüler, der Benediktinermönch Rimbert in seiner "Vita Anskarii". 854 erhielt dieses älteste Gotteshaus nördlich der Eider eine Glocke, wurde auf einer Missionsreis von Rimbert aufgesucht und nach 950 sogar in einem Reisebericht eines arabischen Kaufmannes erneut erwähnt. Es muss sich - der in Haithabu üblichen Bauweise entsprechend - um einen einfachen Holzbau gehandelt haben. Während der zahllosen Kämpfe bis zur endgültigen Zerstörung Haithabus 1066 durch die Slawen mag diese alte Kirche mehrfach in Flammen aufgegangen sein.

Bei den Ausgrabungen der alten Wikingerstadt, den seit Jahrzehnten verantwortlich betriebenen archäologischen Untersuchungen in und um Haithabu konnte der Standort der Kirche bisher nicht aufgefunden werden. Wo mag sie gestanden haben? Es ist davon auszugehen (Vita Anskarii, Kap. 24), dass Ansgar seine Kirche in einer Hafenstadt namens "Sliaswich" gebaut hat. Hier steht der deutsche Sprachgebrauch neben der dänischen Bezeichnung "Hethaeby", d. h. Ort aus der Heide. Gemeint ist gleichbleibend der Handelsplatz südlich der Schlei. Das heutige Schleswig, nördlich der Schlei wurde nach neuester Forschung frühestens in der 2. Hälfte des 11. Jahrhunderts besiedelt. 947 wurde Schleswig Bischofssitz; Hored, ein Mönch aus dem Koster Corvey, wurde zum ersten Bischof geweiht. Es ist kaum glaubhaft, dass die älteste Bischofskirche nördlich der Schlei zu suchen ist.

Die archäologische Forschung beschäftigt sich eingehend mit der ehemaligen "Nikolai-Kirche" südlich des St. Petri-Domes und des neu gestalteten Rathausmarktes in Schleswig. Von diesem Ort könnten die ältesten Fundamente aus dem 10. Jahrhundert stammen; endgültige Ergebnisse stehen noch aus. Von dem großen St. Petri-Dom wird erst 1134 berichtet, der 1984 sein 850jähriges Jubiläum feiert. 
Es lag nahe, die "Ansgar-Kirche" am Platz unserer Kirche zu suchen, nur ca. 750 Meter von Haithabu entfernt. Archäologische Untersuchungen 1934, 1955 und 1971 verliefen aber negativ. Sie ergaben nur, dass unsere Kirche auf einem völlig unberührten Heideboden gebaut wurde. Vorgefundene Holzreste waren mit Mörtel aus der späteren Bautätigkeit nach 1200 vermengt und nicht ursprünglich. Jegliches Fundamentmaterial fehlte.

Weil Ansgar seine Kirche der Mutter Gottes geweiht habe, wollte altes Schrifttum in unserer Kirche eine "Marien-Kirche" sehen. Der entsprechende Passus in der "Vita Anskarii" ist aber in Klammern gesetzt und möglicherweise nicht der Originaltext. Aus der Kirchengeschichte liegen auch keine Quellen vor, die auf eine Marienkirche in Haddeby verweisen. Unser Verkündigungsaltar ist als Marienaltar bezeichnend für die theologische Entwicklung des 15. Jahrhundert; so besaß der St. Petri-Dom in Schleswig damals 5 Marienaltäre. Sehr ähnliche Kunstwerke befinden sich in Hoyer und in Emmerlev in Nordschleswig. So bleibt es bei unserer St. Andreaskirche! Es ist kaum zufällig, dass die Kirchen südlich und nördlich der Schlei zu Haithabu-Schleswig unter das Patronat des Apostelbruderpaares gestellt sind: Andreas und Petrus, beide Fischer aus Kapernaum und Jünger ihres Herrn. Der kleine Dachreiter von Haddeby und der hohe Turm vom Dom zu Schleswig grüßen sich in der Nord-Südlinie über die Schlei hinweg. Ihre Glocken rufen zu Andacht und Einkehr.