Aus Willi Hoffsümmers Geschichtenkalender 2009

Zwei Mönche züchteten in ihrem Garten, welcher zu jeder Zelle gehörte, mit Hingabe Rosen. Der eine beobachtete, wie die Rose sich entfaltete, blühte und verging. Der andere verschenkte seine Rosen an die Vorübergehenden, bevor die Knospen richtig aufgegangen waren. "So kannst du nie den Duft genießen, der von den Rosen ausgeht, wenn du sie hergibst", meinte der eine. "O doch", sagte der andere, "es bleibt immer etwas von ihrem Duft an den Händen, die verschenken können."

 

In einem kleinen Haus mit einem großen Garten lebte ein blinder Mann. Er verbrachte jede freie Minute in seinem Garten und pflegte ihn trotz seines Handicaps mit großer Hingabe. Ob Frühling, Sommer oder Herbst, der Garten war ein Blütenmeer. "Sagen Sie", bemerkte ein Vorübergehender, der die Pracht bestaunte, "warum tun Sie das? Sie können doch davon nichts sehen - oder?" "O nein", antwortete der Blinde, "nicht das Geringste." "Warum kümmern Sie sich denn dann überhaupt um den Garten?" Der Blinde lächelte: "Ich kann Ihnen dafür vier Gründe nennen: Erstens, ich liebe die Gartenarbeit; zweitens, ich kann meine Blumen anfassen; drittens, ich kann ihren Duft riechen. Der vierte Grund sind Sie."  "Ich? Aber Sie kennen mich doch gar nicht!" "Nein, aber ich wusste Sie würden irgendwann vorbeikommen. Sie hätten Freude an meinen herrlichen Blumen, und ich hätte Gelegenheit, mich darüber mit Ihnen zu unterhalten."