Die Podiumsgäste in der St. Michael-Kirche in Flensburg

Direktkandidat*innen für den Bundestag im Gespräch: "Ist das gerecht? Klimaschutz und Nachhaltigkeit"

28.08.2021

Vier Wochen vor der Bundestagswahl war die Kirche St. Michael in Flensburg nach Coronamaßstäben ausgebucht, als der Kirchenkreis Schleswig-Flensburg gemeinsam mit dem Christian Jensen Kolleg und der Akademie der Nordkirche am 27.8.21 zum Demokratiekolleg geladen hatte. Thema: "Ist das gerecht? Klimaschutz und Nachhaltigkeit - Direktkandidat*innen für den Bundestag im Gespräch".

Knapp 70 Leute passten in die Kirche und das Publikum erlebte nach einer Begrüßungsrede von Kirchenkreis-Bildungsreferentin Mareike Brombacher einen aufrüttelnden Impulsvortrag der Flensburger Juniorprofessorin Frauk Wiese. Der Vortrag kann hier heruntergeladen werden.

Auf dem Podium präsentierten die Spitzenkandidat*innen der Parteien für den Bundestag ihre unterschiedlichen Positionen. Nicht ob, sondern wie wir Klimaschutz machen, darum gehe es. Mit diesem Satz fasste Franziska Brzezicha die Thematik des Abends zusammen. Mit ihr waren vier weitere Direktkandidat_innen des Wahlkreises Schleswig-Flensburg in die Jugendkirche nach Flensburg gekommen: Katrine Hoop (LINKE), Robert Habeck (GRÜNE), Christoph Anastasiadis (FDP) und Stefan Seidler (SSW). MdB Petra Nicolaisen (CDU) konnte wegen der Afghanistan-Beratungen in Berlin nicht dabei sein, der AfD-Kandidat erschien trotz Zusage nicht.

Bevor die Frage-Antwort-Runden begannen, gab Professorin Frauke Wiese von der Europa-Universität Flensburg einen Überblick über den wissenschaftlichen Stand zum Klimawandel und die damit verbundenen Herausforderungen: Mit den bislang geplanten Maßnahmen im bisherigen Tempo steuerten wir auf eine Erderwärmung um 3o C zu - jedoch werden bereits ab 1,5 o C  die Folgen bereits überall auf der Erde lebensbedrohend spürbar und vielfach unumkehrbar sein. Klimaschutz gut und konsequent gemacht schaffe demgegenüber neben der Erhaltung unserer Lebensgrundlagen auch mehr Lebensqualität sowie Gerechtigkeit und sei dringend und verstärkt nötig.

Das war die Ausgangslage für die Kandidat_innen. Welche Maßnahmen wollen sie für einen not-wendenden und effektiven Klimaschutz ergreifen?

Unterschiede zeigten sich zwischen GRÜNE und FDP: C. Anastasiadis (FDP) plädierte wiederholt dafür, Investitionen in neue Technologien durch Steuerentlastungen und konsequente Verteuerung von Energie hervor zu locken, damit diese zur Lösung der Klimaschutz-Aufgaben erfunden werden könnten. R. Habeck (GRÜNE) hielt dagegen: Wir bräuchten viele verschiedene Ansätze aus unterschiedlichen Bereichen. So würde er möglichst schnell möglichst viele Kohlekraftwerke stilllegen, um zu einer raschen CO2-Reduzierung zu gelangen. Darüber hinaus wolle er „die Märkte“ und Geldströme in Richtung Klimaschutz lenken.

Gemeinsamkeiten im Grundsätzlichen zeigten sich zwischen SPD und DIE LINKE. F. Brzezicha (SPD) sprach von einer notwendigen stärkeren Gemeinwohlorientierung bei staatlichen Subventionen und kündigte Maßnahmen an, die Klimaschutz-Lasten gerecht zu verteilen – starke Schultern könnten mehr tragen. Damit würde auch gerade denjenigen, die viel arbeiteten und wenig verdienten, Respekt für ihre Leistung gezollt. K. Hoop (LINKE) will sich dafür einsetzen, „Wirtschaft neu zu denken“ sowie Nachhaltigkeit und soziale Lebensqualität in den Vordergrund rücken. Auch das Verständnis von „Kosten“ sei neu zu beschreiben, wie die 30 Milliarden Euro als Aufbauhilfe nach der jüngsten Flutkatastrophe zeigten.

Die Bedeutung regionaler, kommunaler Politik betonte hingegen S. Seidler (SSW). Vor Ort gäbe es eine hohe Kompetenz, Probleme zu lösen. So sei es einer seiner Ziele, eine strategische Förderung regionaler Produkte zu beginnen, wie sie in Dänemark bereits erfolgreich angewendet werde.

"Am 26. September haben Sie als Bürger_innen die Wahl – nutzen sie diese!" So lautete der Appell eines Kandidaten zum Ende des Abends in der bis auf den letzten möglichen Platz gefüllten Jugendkirche.

Mitglieder der AG Demokratiekolleg und auch das Publikum stellten den Politiker*innen anschließend ihre Fragen.

Es war ein spannender Abend, musikalisch umrahmt vom Gitarristen Kalle Willems und moderiert von Nora Steen, Christian Jensen Kolleg und Joachim Kretschmar, Akademie der Nordkirche. Die Organisation vor Ort lag in den tatkräftigen Händen der Jugendkirche, die auch die Technik gemeinsam mit Jam Studio betreute.


Begrüßungsrede von Mareike Brombacher: "Warum ist uns als Kirche eine solche Veranstaltung wichtig?"

Meine Stelle in der evangelischen Erwachsenenbildung trägt die Überschrift „In welcher Gesellschaft wollen wir leben?“ - Ja - was wäre die Antwort auf diese Frage? Wir wollen in einer friedlichen Gesellschaft leben, in der die Menschen frei sind, in der sie sich wohl fühlen, in der sie wahrgenommen werden mit ihren Bedürfnissen. Wir wollen eine Gesellschaft, die weder Mensch noch Umwelt ausbeutet, wir wünschen uns Gerechtigkeit für alle, am besten weltweit. Als Kirche sehen wir uns zusätzlich in der Verantwortung für die Schöpfung auch oder gerade den zukünftigen Generationen gegenüber. Klimaschutz bedeutet letztlich, alle Menschen auf der Erde an den Lebensgrundlagen teilhaben zu lassen, ohne die Erde dabei so auszubeuten, dass zukünftige Generationen keine Lebensgrundlage mehr haben.

Der Weltklimabericht von vorletzter Woche, die Überschwemmungen in Deutschland, die großflächigen Brände an verschiedenen Orten der Erde – Sie haben es sicherlich auch in den Nachrichten verfolgt - der Klimawandel wandelt sich spürbar zur Klimakatastrophe auch bei uns, und schon lange warnen Wissenschaftler*innen, dass die bisherigen Maßnahmen nicht ausreichen werden, um unsere Lebensgrundlage tatsächlich zu erhalten. Klimaschutz ist also ein Thema, das keinen Aufschub erlaubt. Klimaschutz betrifft so unterschiedliche Lebensbereiche wie Gesundheit, Ernährung, Mobilität, Arbeitsbedingungen, aber auch Fluchtbewegungen und weltweite Gerechtigkeit. Deshalb ist es auch hier und heute unser Thema, wenn wir die Direktkandidat*innen des Wahlkreises für den Bundestag dazu befragen und miteinander ins Gespräch kommen werden.

Und, letzter Punkt, genau das ist auch unser zentrales Anliegen als Kirche: Menschen miteinander ins Gespräch zu bringen, die nicht unbedingt einer Meinung sind – überhaupt im Gespräch zu sein miteinander und zu bleiben, auch dann, wenn es schwierig und unangenehm zu werden droht. Demokratie ist ein anspruchsvoller, oft auch anstrengender Prozess, da viele Meinungen gehört und ausgetauscht werden wollen – und wir können gleichzeitig so froh und dankbar sein, in einer Gesellschaft zu leben, die diese Meinungsfreiheit groß schreibt. Wir hoffen, hier heute einen Raum und einen Rahmen zu bieten, der es allen Beteiligten erlaubt, diese verschiedenen Meinungen auszutauschen. Einen Raum, der auch Sie, liebes Publikum, bei der Diskussion später dazu einlädt, den Kandidat*innen ihre eigenen Fragen zu stellen.