Andacht am Karfreitag

Andacht am Karfreitag  - 10. April 2020

15.00 – 15.05 Uhr Glockengeläut

15.05 Uhr Kerze anzünden (in den Kirchen: Osterkerze)

Psalm 22
Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Ich schreie, aber meine Hilfe ist ferne. Mein Gott, des Tages rufe ich, doch antwortest du nicht, und des Nachts, doch finde ich keine Ruhe. Aber du bist heilig, der du thronst über den Lobgesängen Israels. Unsere Väter hofften auf dich; und da sie hofften, halfst du ihnen heraus. Zu dir schrien sie und wurden errettet, sie hofften auf dich und wurden nicht zuschanden.
Sei nicht ferne von mir, denn Angst ist nahe; denn es ist hier kein Helfer. Meine Kräfte sind vertrocknet wie eine Scherbe,  und meine Zunge klebt mir am Gaumen, und du legst mich in des Todes Staub.
Sie teilen meine Kleider unter sich und werfen das Los um mein Gewand. Aber du, HERR, sei nicht ferne; meine Stärke, eile, mir zu helfen!

Stille

Lesung aus Markus 15
Und sie führten Jesus hinaus, dass Sie ihn kreuzigten. Und zwangen einen, der vorüber ging, mit Namen Simon von Kyrene, der vom Feld kam, dass er ihm das Kreuz trage.
Und sie brachten ihn zu der Stätte Golgatha, das heißt übersetzt: Schädelstätte.
Und sie gaben ihm Myrrhe in Wein zu trinken, aber nahm´s nicht.
Und sie kreuzigten ihn. Und sie teilten seine Kleider und warfen das Los, wer was bekommen sollte.
Und es war die dritte Stunde, als sie ihn kreuzigten.
Und es stand über ihm geschrieben, welche Schuld man ihm gab, nämlich: Der König der Juden.
Und sie kreuzigten mit ihm zwei Räuber, einen zu seiner Rechten und einen zu seiner Linken.
Und zur sechsten Stunde kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde.
Und zu der neunten Stunde rief Jesus laut: Eli, Eli, lama asabtani? Das heißt übersetzt: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?

Stille

Gedanken zum Karfreitag
Der Gottesdienst am Karfreitag ist anders.
Der Karfreitag lebt nicht aus den Worten und schon gar nicht aus der Musik.
Er lebt aus dem, was fehlt.
Er lebt aus dem Fehlen der Musik.
Die liturgischen Gesänge fehlen, am Ende schweigt die Orgel. Und die Glocken schweigen auch.
Der Karfreitag lebt aus den Zeichenhandlungen. Am Anfang brennt die Osterkerze. Auf dem Altar brennen die Lichter. All dies wird am Ende nicht mehr sein.
Der für mich bewegendste Moment an diesem Tag – vielleicht im ganzen Kirchenjahr ist der Augenblick, in dem ich das Licht der Osterkerze lösche.
So wird es auch in diesem Jahr sein.

Stille

Nur Gott und ich – und nichts, was noch ablenkt.
Ich werde dem nicht ausweichen
– in diesem Jahr kann ich es noch weniger als sonst.
Es gibt nichts mehr, was ablenkt.
„Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“
Ist das so? Manchmal kommen mir Endzeitgedanken.
Ist die Welt von allen guten Geistern verlassen – und jetzt auch von Gott?
Oder ist es nicht vielmehr eigentlich ganz anders?
Bin nicht ich vielleicht eher die, die Gott verlassen hat? Die ihn vielleicht nie brauchte?

Im Buch der Sprüche im Alten Testament heißt es so:
Verlass dich auf den HERRN von ganzem Herzen, und verlass dich nicht auf deinen Verstand, sondern gedenke an ihn in allen deinen Wegen, so wird er dich recht führen.
Inge Callsen hatte ihren Konfirmationsspruch sofort im Kopf, als ich an die Tür kam. Und dann holte sie den Vers, der eingerahmt schon seit Jahrzehnten ihr Lebensbegleiter ist. So hatten wir ihn einen Augenblick beide vor Augen. Von 1949 ist die Konfirmationsurkunde. So lange schon lebensbegleitend.
Verlass dich nicht auf deinen Verstand …
Was mir die Situation, in der wir sind, wohl am Allerschwersten macht, ist, dass es keinen Vergleich, keine Erfahrungswerte gibt und ich niemanden kenne, der mir ganz genau sagen kann, wie es ausgehen wird für uns.
Ich bin es nicht gewohnt, dass ich meinen Verstand nicht benutzen kann.
Es war doch alles klar definiert.
Es war doch alles durchgeplant.
Es war doch alles gut, oder?
Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?
Wenn selbst Jesus so klagen darf – warum sollte ich es nicht dürfen?
Aber die Frage wirft mich auch auf mich zurück:
Und ich?
Hab ich mich jemals ernsthaft auf Gott verlassen? Verlassen müssen?
In guten Zeiten hab ich es nicht gebraucht – und jetzt? Will ich Gott Vorwürfe machen?
Hat sich Gott denn auch verlassen dürfen auf mich? Durfte er denn mein Lebensbegleiter sein?

Am Karfreitag fehlt so viel.
Das, was fehlt, lenkt mich zu der Mitte hin:
Zu den Fragen, die eine Antwort suchen.
Gott hält die Lücke offen, damit ich eine Antwort finden kann.
Vielleicht endlich – und neu.
Es tut weh.

Aber: die Zeiten sind danach. Die Welt braucht unser Umdenken. Da ist so viel, was anders werden muss.
Vieles wird jetzt anders werden.
„Verlass dich auf den Herrn von ganzem Herzen.“
Was macht der Satz mit mir?

Heute am Karfreitag kein Lied.
Kein Halleluja.
Keine Orgel.
Am Ende nicht einmal mehr die Glocken.
In der Stille wird das Eigentliche laut werden.

Vielleicht liegt darin die Antwort.
Vertrauen statt Angst. Darauf hoffe ich.
Amen.

Stille

Fürbitte
Gott, am Karfreitag spüren wir:
Da ist eine Lücke
Du hältst sie offen,
damit unsere Sehnsucht groß werden kann.
Es ist die Sehnsucht nach dem anderen Leben.
Wir bitten dich für uns
Für unser Land und alle Länder
Für unsere Welt:
Erbarme dich unser.

Auslöschen der Osterkerze

Vaterunser (in den Kirchen Geläut)
Vater unser im Himmel.
Geheiligt werde dein Name.
Dein Reich komme.
Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute.
Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unserem Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.
Amen.

Segen: Gott segne uns und behüte uns, Gott lasse leuchten sein Angesicht über uns und sei uns gnädig. Gott erhebe sein Angesicht auf uns und gebe uns Frieden. Amen.

Bis zum Ostermorgen werden nun die Glocken schweigen.
Es wird Karsamstag –
Erst muss der dritte Tag beginnen.

Am Ostersonntag um 11.00 Uhr „treffen“ wir uns wieder zur Andacht in unseren Häusern – und mit dem Osterlicht.

Bis dahin – herzliche Grüße!                  Nadja Jöhnk.