Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei...

06.09.2023

Die Predigt vom 03. September 2023 zur Goldenen Konfirmation der Jahrgänge 1968 bis 1973 zum Nachlesen von Pastor Stefan Henrich

Evangelium des Sonntags: Lukas 10,25 -37:

Und siehe, da stand ein Gesetzeslehrer auf, versuchte ihn und sprach: Meister, was muss ich tun, dass ich das ewige Leben ererbe? Er aber sprach zu ihm: Was steht im Gesetz geschrieben? Was liest du? Er antwortete und sprach: »Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft und deinem ganzen Gemüt, und deinen Nächsten wie dich selbst« (5. Mose 6,5; 3. Mose 19,18). Er aber sprach zu ihm: Du hast recht geantwortet; tu das, so wirst du leben.

Er aber wollte sich selbst rechtfertigen und sprach zu Jesus: Wer ist denn mein Nächster? Da antwortete Jesus und sprach: Es war ein Mensch, der ging von Jerusalem hinab nach Jericho und fiel unter die Räuber; die zogen ihn aus und schlugen ihn und machten sich davon und ließen ihn halb tot liegen.

Es traf sich aber, dass ein Priester dieselbe Straße hinabzog; und als er ihn sah, ging er vorüber. Desgleichen auch ein Levit: Als er zu der Stelle kam und ihn sah, ging er vorüber. Ein Samariter aber, der auf der Reise war, kam dahin; und als er ihn sah, jammerte es ihn; und er ging zu ihm, goss Öl und Wein auf seine Wunden und verband sie ihm, hob ihn auf sein Tier und brachte ihn in eine Herberge und pflegte ihn. Am nächsten Tag zog er zwei Silbergroschen heraus, gab sie dem Wirt und sprach: Pflege ihn; und wenn du mehr ausgibst, will ich dir’s bezahlen, wenn ich wiederkomme.

Wer von diesen dreien, meinst du, ist der Nächste geworden dem, der unter die Räuber gefallen war? Er sprach: Der die Barmherzigkeit an ihm tat. Da sprach Jesus zu ihm: So geh hin und tu desgleichen!

 

Liebe Gemeinde, besonders aber heute liebe Goldene Konfirmanden,

Das Wesentliche im Leben ist oftmals verborgen oder unsichtbar, der Herzschlag des Körpers etwa oder die Gedanken im Kopf, die dich bestimmen oder der Geist, der dich beflügelt oder aber auch niederdrückt.
Das Wesentliche ist oftmals verborgen oder nicht sichtbar, auch bei uns in der Kirche ist das so. Und das meine ich heute Morgen ganz handfest dinglich.
Gestern Abend bei der Kirchenführung haben die meisten von Ihnen und Euch zum ersten Mal das aus der Bauzeit der Kirche stammende Fenster im Kanzelaufgang gesehen. Dieses Fenster hat als einziges die Explosion des Munitionsdepots unten am Hafen im Juni 1945 unbeschadet überstanden. Auf dem Gottesdienstblatt ist das Fenster abgebildet, es zeigt die Symbole für Glaube, Hoffnung und Liebe, diese drei aber die Liebe ist die Größte unter Ihnen. (1. Korinther13,13)  So sagte es der Apostel Paulus einmal, warum aber meint er, dass die Liebe die Größte ist?
Weil Gott die Liebe ist, wie es an anderer Stelle in der Bibel heißt und weil nichts größer ist als Gott. Aber weil der sich nun doch auch so klein gemacht hat, dass er in Jesus Christus Mensch und unser Bruder wurde, hat er uns einen dreifachen Liebesklang als Geschenk für unser Leben gegeben, damit das gut gelingt.
Du sollst Gott lieben und deinen Nächsten und dich selbst auch, vergiss das nicht, so lautet dass Jesuswort aus dem Evangelium etwas verkürzt.

Das Wesentliche ist oft unsichtbar, das gilt in besonderer Weise für die drei Gnadengaben von Glaube, Liebe und Hoffnung, das gilt aber auch für den Segen, der auf Sie und Euch gelegt wurde vor gut 50 Jahren.

Was war das für eine Zeit?
Die ersten von Ihnen sind echte 68er, so können wir sagen und doch fragen, ob sie etwas mitbekamen von dem Geist der Zeit, die voller Umbrüche, Aufbrüche und neuer Ideen war. „Unter den Talaren der Muff von tausend Jahren“, so wurde an den Universitäten skandiert, hier aber gingen Sie als die Jüngeren vermutlich weitestgehend noch brav zum Konfirmandenunterricht, lernten Lieder und Katechismus auswendig oder gewannen drei Mark beim Wettblättern in der Bibel. Wer am schnellsten die aufgerufenen Bibelstellen fand, gewann den Preis. So erzählten Sie es gestern beim munteren Wiedersehensnachmittag, die drei Mark waren ausgelobt nicht etwa von den Eltern oder Großeltern, sondern von Pastor Lassen...
Und doch waren Sie vielleicht gerade, weil Sie die Schätze der Tradition kennenlernten auch vom Geist einer neuen Zeit beflügelt, der auch in der Kirche Einzug erhielt.
Pastor Hoffmann in St. Johannis etwa machte ganz andere Freizeiten als Amo in St. Jürgen, im Berichtsheft einer späteren Jugendfreizeit aus St. Jürgen habe ich dann aber auch etwa dieses Gedicht gefunden, vielleicht war jemand von Ihnen dabei in Finnland:

Für mich

kann Liebe niemals bedeuten

daß zwei sich in einem Winkel zusammenkuscheln

während das Leben vorbeirauscht.

 

Für mich muß Liebe immer bedeuten

daß viele gemeinsam kämpfen

- darunter auch du, auch ich-

weit draußen

weit drinnen im Leben.

 

Überall habe ich dich gesucht

der du meine ganze Welt ausfüllst

 

Ich versuchte

meine Welt umzumodeln

um sie dir anzupassen

suchte dich überall

 

Aber gefunden habe ich schließlich

mich selbst.

 

Klingt hier womöglich im Hintergrund der Zeilen der Dreiklang der Liebe Gottes an oder ist das reine Selbstfindungslyrik, wie sie auch eine ganze Zeit lang modern war?

Was für eine Zeit war das, was für Affären und Krisen? Deutschland schien auf immer und ewig geteilt, Rostock unendlich entfernt, heute Nachmittag spielt Hansa gegen den HSV.
Den Hunger in Biafra oder anderswo konnte keiner stillen aber auf dem Mond konnten wir landen. Der Vietnamkrieg war noch im vollen Gange, John Lennon und Yoko Ono sangen „Give Peace a Chance...“ Wissen Sie wann und wo? Am 1. Juni 1969 im Bett im Queen Elizabeth Hotel in Montreal, die Filmaufnahmen davon erregten großes Aufsehen.

Im Jahr darauf sponsorte die auch in Flensburg gut bekannte Beate Uhse auf Fehmarn ein „Love and Peace“ Festival. Jimi Hendrix war da und kurze Zeit später tot. Eine andere Band sang „Macht kaputt, was euch kaputt macht“. Als der Veranstalter mit der Konzertkasse abhauen wollte, versank das Festival der Liebe im Chaos. Der Sänger der Band besang Jahre später den Junimond und war nicht bei Echt, die aber kamen von hier.
Musik wurde nicht gestreamt, sondern aufgenommen auf Cassetten, C90 Bandsalat war nicht vegan aber ärgerlich, Singles gab es auch schon, das waren aber keine Alleinlebenden sondern rotierende Schallplatten. Eine der erfolgreichsten jener Jahre nach Ausweis der Hitparaden war von Heintje. Wenn Mama die geschenkt bekam, freute sie sich ...meistens. Man selber sang im Schulchor, unter der Dusche oder in der Kirche bei Deschi, eine von Ihnen, so erzählte sie gestern, hatte Flötenunterricht bei Renate Birkholz.

Was für Aufbrüche, Verwicklungen und Veränderungen, was für Aufregung um lange Haare und um kurze Röcke, was für Streitereien um Barbie in den Kinderzimmern! Wer hätte damals gedacht, dass diese Puppe einmal zum Filmstar mutieren und zur Speerspitze einer neuen Emanzipation taugen würde.

Ins Gemeindehaus zur Jugendgruppe oder in den Jugendkeller durfte die meisten der Konfirmanden und sie gingen auch gerne hin. Hier gab es Headbanging zu „In a Gadda da Vida“ oder „Smoke on the Water“ oder es wurde eng getanzt: „We had Joy, we have Fun, we have Seasons in the Sun". Hermann Hesse und die Bibel wurden gelesen und darüber diskutiert, Predigten konnten langweilig sein oder aber auch elektrisieren. Raten Sie mal, von wann folgender Predigtauszug ist:

„Es gibt heute kaum einen Menschen, der nicht voller Sorge in die Zukunft schaut. Allgemein heißt es: Wie soll es weitergehen, wenn die Geldentwertung so fortschreitet wie bisher? Wenn der eklatante Widerspruch zwischen den maßlosen Ansprüchen an die Gesellschaft und ihrem realen Leistungsvermögen nicht endlich beseitigt wird? Wenn die Generationen sich immer weiter auseinanderleben? Wenn nicht endlich Friede geschlossen wird im Nahen Osten und in Vietnam? Wenn unsere Kinder weiterhin so miserabel unterrichtet werden?“ (Peter Stuhlmacher, Zitat nach: Göttinger Predigtmeditationen 2003/8 S. 436)

Wäre da nicht das eine Wort Vietnam, man könnte meinen, es seien Worte zur Lage der Nation heute gesagt, Bildungsnotstand und soziologisch festgestellte Ichgesellschaft scheinen eingeflosssen, das Wort Vietnam müsste eigentlich nur durch die Ukraine ersetzt werden. Die Predigt ist tatsächlich vom 28. Januar 1973, gehalten wurde sie nicht in Flensburg, ich weiß auch nicht, ob das auf der Linie der damaligen hiesigen Pastoren Claussen, Droste oder Lassen gewesen wäre. Gestern brachte eine von Ihnen ja die Abschrift einer mitstenographierten Konfirmationspredigt vom 12. April 1970 mit, was für ein Geschenk. Pastor Lassen predigte über den mit der Konfirmation anbrechenden weiten Raum zum Leben und zum Gebrauch der Freiheit als Gottes Geschenk an Euch.
Ich selber erinnere aus diesen Jahren noch gut die Ölkrise und Fahrverbote, da ging man wirklich zu Fuß auch über Autobahnen. Das war aber nicht Ausdruck ökologischen Bewußtseins, vielmehr eine Reaktion auf die durch den Jom-Kippur-Krieg ausgelöste Rohölverteuerung. Die OPEC hatte die Produktion gedrosselt, innerhalb eines Vierteljahres waren die Benzin- und Heizölpreise um ein Vierfaches gestiegen, gegen diese Politik der OPEC richtete sich der Protest, man wollte mehr Öl.
Das ökologische Bewußtsein allerdings war auch erwacht spätestens 1972, als der "Club of Rome" die Grenzen des Wachstums ausrief. Seitdem beschäftigt uns das Thema in zunehmender Dringlichkeit

Sie, die Konfirmanden, standen vor anderen Herausforderungen. Die Schule wurde beendet und Lehre oder Studium wurden angefangen, Lebensträume erfüllten sich oder zerplatzen. Der eine war nicht nur beruflich sehr erfolgreich, ein anderer kam mit dem Tempo nicht zurecht, ein dritter erlebte Hochs und Tiefs im Wechsel. Mit dem Bild unserer drei Symbole gefragt:

Welche Berge konnte ich erklimmen und wessen Kreuz gab mir Kraft über allen Abgründen, wo habe ich Anker werfen können im Leben, wer war verlässlich für mich da und welches Herz schlug für mich, welche Liebe gab ich, habe ich und konnte ich empfangen?

Vielleicht dürfen Sie dankbar und froh sagen, ich habe den Partner fürs Leben gefunden, vielleicht aber denken Sie auch an Enttäuschungen oder dass Krankheiten sich Ihrer bemächtigten, die nicht gingen wie der Schnupfen nach drei Tagen.
Und wie oft und schwer mussten sie Abschied nehmen von vertrauten lieben Menschen. In all diesen Erinnerungen und Fragen taucht immer die eine auf: Was ist der Grund unseres Lebens, welches Fundament trägt mich?
In der Bibel steht die eine Antwort darauf, die gelten soll über die Zeiten hinweg, aufgeschrieben auch wieder von Paulus, dem Apostel, der nach Jesu Tod und Auferstehung sein Leben umkrempeln ließ von dem gekreuzigten Heiland:
Einen anderen Grund kann niemand legen als den der gelegt ist: Jesus Christus. (1. Korinther 3,11)
Will sagen, Jesus Christus trägt dich in aller Freude und noch vielmehr in allem Leid. Er hält, liebt und tröstet dich, zu ihm kannst du kommen mit allem was dich bewegt.
Auch mit deinem Glaubenszweifel.
Für manche war der so stark oder ein Ärger über die Kirche steckte so tief, dass sie austraten aus derselben. Andere engagierten sich und halfen das Werk Christi hinauszutragen in diese Welt. Sie singen im Chor, waren früher bei Amo oder Bernd Carstensen oder Helga Grenz in der Jungschar oder im Kindergottesdienst und sind heute im Kirchengemeinderat oder politisch aktiv. Sie decken den Tisch, sind beim Gottesdeinst dabei oder in der Flüchtlingarbeit oder versuchen ihr christliches Selbstverständnis heute zeitgemäß in Worte fassen. Den folgenden Versuch finde ich besonders schön:
"Den Glauben an den Schöpfer bekennt der Mensch nicht durch das, was er über die Entstehung der Welt denkt, sondern dadurch, wie er sich zur Natur verhält; den Glauben an den gemeinsamen Vater bekennt er dadurch, dass er andere Menschen als seine Schwestern und Brüder annimmt; und den Glauben an das ewige Leben bekennt er durch die Weise, wie er seine eigene Endlichkeit annimmt."
(aus: "Der Nachmittag des Christentums: Eine Zeitansage" von Tomáš Halík, Freiburg 2022,  S.32)

Das im Übrigen ist im Evangelium ja der Clou in auf die Frage des Gesetzeslehrers nach dem ewigen Leben, dass Jesus mit der Geschichte vom barmherzigen Samariter antwortet.
Ewiges Leben ist danach nicht das zeitlich in die Unendlichkeit hinein verlängerte eigene biologische Leben, das wäre ja auch schrecklich, wenn wir immer weiter altern würden.
Nein, „Ewiges Leben“ meint den Widerschein der Barmherzigkeit Gottes in unserem Tun und Handeln jetzt und hier und dass wir den Dreiklang der Liebe Gottes weitergeben können in unserem Leben. Glücklich, wer das vermag.
Wieder andere, wahrscheinlich die meisten haben mit diesem Vermögen in freundlicher Distanz zur Kirche gelebt. Wir freuen uns aber doch, wenn sie kommen zu Weihnachten oder zu Hochzeiten und auch wenn wir Trost geben können mit dem Schatz unserer Lieder, Texte und Gebete in Trauer und Not. Heute ist es nicht mehr selbstverständlich, dass die Jugendlichen zum Konfirmandenunterricht gehen. Die aber, die kommen, sind hoch engagiert und motiviert.

Zum Schluß:

Zu Ihren Konfirmationen waren auch die schönen Glasfenster unserer Kirche schon einige Jahre alt, sie sind von 1960. In aller Buntheit der Farben geben sie seitdem schönes Zeugnis von der Vielfalt des Lebens. Von alleine aber können sie nicht leuchten, dazu braucht es des Lichtes von außen. Wir erinnern uns daran, dass Jesus Christus dieses Licht für einen jeden von uns sein will: ER hat gesagt: „Ich bin das Licht der Welt, wer mir nachfolgt, wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.“ (Johannes 8,12)
Sie durften an der Schwelle zum Erwachsenenleben den Segen der Konfirmation empfangen, das war lichtleuchtend helle Liebeserklärung Gottes Ihnen ganz persönlich zugesagt.

Dass sie dankbar sich daran erinnern und mit uns an diesem Wochenende das Fest der Begegnung feiern, erfüllt uns mit Freude. Wir bitten, dass der Segen lang anhalte und ihnen Mut macht für alle Zeit, die da kommt. Deshalb: Lobe den Herren, und vergiss nicht, was er dir gutes getan hat. (Psalm 103,2)

Amen