Kirche Hollingstedt

Die Kirche von Hollingstedt stellt aus mehreren Gründen eine Besonderheit dar. Zum einen ist sie aus einem Baumaterial errichtet, das von weit her, aus der Eifel stammt, zum andern liegt sie innerhalb des Kirchspiels ganz randlich und schließlich ist ihre Geschichte eng verwoben mit dem alten Hafen am Treene-Ufer.

Das Kirchengebäude bildet heute eine Saalkirche mit einem Vorbau am Südportal. Doch ursprünglich hatte die Kirche eine andere Gestalt. Der Westteil der heutigen Kirche stellt das alte, aus rheinischem Tuffstein errichtete Kirchenschiff dar, an das ursprünglich ein Chor mit halbrunder Apsis anschloss, wie auf einem Plan von 1767 festgehalten ist. Wegen Baufälligkeit wurden Chor und Apsis 1796/97 abgerissen und das Kirchenschiff nach Osten verlängert. Die Fenster waren ursprünglich erbeblich kleiner, wie an den zugemauerten Fensteröffnungen in der Nordwand noch zu erkennen ist. Nur durch diese kleinen Rundbogenfenster in der oberen Hälfte der Wand gelangte natürliches Licht in den Innenraum. Auch das ehemalige Portal in der Nordwand, durch den Rundbogen aus Haustein markiert, ist heute vermauert. Dem Nordportal entspricht das noch heute benutzte Portal auf der Südseite, vor das zu späterer Zeit ein kleines Vorhaus gebaut wurde.

Genauere Kenntnisse über den Grundriß und vor allem die Baugeschichte der Kirche erbrachten archäologische Untersuchungen im Jahr 1995. Bei Bauarbeiten wurde der Fußboden im heutigen Chorraum aufgenommen, sodaß die Grundmauern des alten Chores und der anschließenden Apsis freigelegt wurden. Es zeigte sich, dass an das etwa 16 m lange Kirchenschiff ein eingezogener, querrechteckiger Chor mit halbrunder Apsis anschloss. Der Altar stand im Mittelalter an derselben Stelle wie heute, an der Grenze zwischen Chor und Apsis. Die Nordwand des Chores war mit der Ostwand des Kirchenschiffs mauerungstechnisch verbunden, eine Baufuge war nicht zu erkennen. Kirchenschiff und Chor wurden demnach in einem Zuge errichtet. Das spricht dafür, daß das Gebäude von Anfang an als Kirche diente.

In einem Grabungsschacht wurde das Fundament der Nordwand des Chores freigelegt. Es bestand aus fünf Lagen von Findlingen und war insgesamt 1,04 m mächtig. Die Steine der obersten Lage waren etwas kleiner und bildeten eine Ausgleichsschicht zum aufgehenden Tuffsteinmauerwerk, von dem zwei Steinlagen noch erhalten waren. Der untere Teil des Fundaments war in einen zwischen 50 und 70 cm tiefen Graben gesetzt worden, während die oberen Findlingslagen über die damalige Oberfläche hinausragten. Im Innern der Kirche wurde eine 30-35 cm mächtige Sandschicht aufgetragen, außen wahrscheinlich ebenfalls, sodaß die Kirche auf einem flachen Hügel stand. Das Kirchengebäude wird auf Grund der Bauformen in die zweite Hälfte des 12. Jahrhunderts datiert. Bei dem Baumaterial handelt es sich um Tuffstein aus der Eifel, ein poröses Gestein vulkanischen Ursprungs, das sich in bergfrischem Zustand leicht bearbeiten läßt und an der Luft hart wird. Zu Quadern geformt wurde der Tuffstein auf dem Wasserwege transportiert, zunächst rheinabwärts, dann über die Nordsee und schließlich auf Eider und Treene nach Hollingstedt. Die Kirche ist eine der zahlreichen Tuffsteinkirchen, die sich im Küstengebiet der Nordsee von der Rheinmündung bis nördlich von Esbjerg finden.

Bei den Grabungen in der Hollingstedter Kirche fanden sich keine Hinweise auf eine ältere Kirche, wohl aber Spuren einer vor dem Bau der Kirche dort vorhandenen Siedlung. Zwei Herdstellen und Bruchstücke von Handmühlen aus Basaltlava zeigen an, daß an der Stelle, wo in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts die Kirche errichtet wurde, vorher schon Häuser standen. Für die Datierung dieser Siedlungsschichten steht nur eine kleine Menge Keramik zur Verfügung. Darunter finden sich Keramiktypen, die in das 10./11. Jahrhundert zu datieren sind, also in die Wikingerzeit gehören. Entweder war diese Siedlung verlassen, als die Kirche gebaut wurde oder aber, was wahrscheinlicher ist, die Kirche wurde in einer bestehenden Siedlung errichtet. In diesem Fall mußte man für den Kirchenbau innerhalb des bebauten Areals Platz schaffen, was einen Eingriff in bestehende Besitzstrukturen bedeutete. Der oder die Erbauer der Kirche konnten über das Grundstück verfügen, auf dem die Kirche errichtet wurde. Da zu Anfang des 16. Jahrhunderts der Landesherr, der Herzog von Schleswig-Holstein-Gottorf, Patronatsherr der Kirche in Hollingstedt war, ist davon auszugehen, daß die Kirche vom Rechtsvorgänger des Herzogs, dem dänischen König, gegründet worden ist.

Der mittelalterliche Schutzheilige der Kirche ist nicht überliefert, läßt sich aber aus Flurnamen erschließen. Im 17./18.Jahrhundert wurden Flurstücke am Ostrande der Hollingstedter Gemarkung "Sankt Johannisholz" genannt. So könnte der Schutzpatron der Hollingstedter Kirche Johannes gewesen sein. Dabei bliebe jedoch offen, ob die Kirche dem Evangelisten Johannes oder Johannes dem Täufer geweiht war. Der heutige Name "St. Nicolai-Kirche" stammt aus dem Jahre 1979. Die Gemeinde wollte ihre bis dahin namenlose Kirche - in Erinnerung an ihre Geschichte als Hafenkirche - mit dem Schutzpatron der Seefahrer und Kinder, St. Nicolaus, in Verbindung bringen.

Die Kirche von Hollingstedt liegt im äußersten Westen des Kirchspiels, zu dem außer dem Kirchdorf selbst noch Ellingstedt, Dörpstedt und Börm gehören. Selbst innerhalb des Dorfes nimmt die Kirche eine ausgeprägte Randlage nahe dem Treene-Ufer ein. Mag sein, daß einige Kirchspielsbewohner ihr Gotteshaus auf dem Wasserwege günstiger erreichen konnten als zu Lande. Doch scheinen die Menschen, die das Gotteshaus erbauten und nutzten, in besonderem Maße mit dem Fluß verbunden gewesen zu sein. Das Treene-Ufer bei Hollingstedt wurde jahrhundertelang als Schiffsanlegeplatz genutzt. Im 12. und 13. Jahrhundert diente Hollingstedt der blühenden Handelsstadt Schleswig als "Nordseehafen". Dort mußte von jedem Wagen, der von Schleswig in Richtung Westen fuhr, ein Zoll in Höhe von vier Denaren entrichtet werden. So bestimmte es das Schleswiger Stadtrecht. Archäologische Grabungen am Treene-Ufer südlich der Kirche deckten 1995/96 einen Teil des mittelalterlichen Schiffsanlegeplatzes auf.

Die Tuffsteinkirche am Treeneufer bei Hollingstedt wurde während der Blütezeit des Hafens Hollingstedt errichtet, und zwar von Anfang an als Gotteshaus und nicht, wie eine sagenhafte Überlieferung behauptet, als ein "Packhaus der Engländer". Ein wahrer Kern dieser im 16. Jahrhundert zuerst auftauchenden Überlieferung mag darin bestehen, daß die Kirche auch zur Einlagerung von Waren gedient hat. Denn das aus Stein errichtete Gebäude und der besondere Kirchenfriede boten den Kaufleuten mit ihren Waren Schutz vor Feuer und Diebstahl.

Klaus Brandt