Jeremia und der Abreißkalender - Eine Predigt zum 1. Advent von Pastor Stefan Henrich

Orgelvorspiel
Begrüßung und Lesung Sacharja 9,9-10
Kantorei EG 2  Er ist die rechte Freudensonn
Gemeindelied Macht hoch die Tür EG 1, 1-3
Evangelium Matthäus 21,1-11
Kantorei: Hosianna
Glaubensbekenntnis
Gemeindelied: EG 8 Es kommt ein Schiff, geladen
Predigt über Jeremia 23,5-8

Siehe, es kommt die Zeit, spricht der Herr, dass ich dem David einen gerechten Spross erwecken will. Der soll ein König sein, der wohl regieren und Recht und Gerechtigkeit im Lande üben wird. Zu seiner Zeit soll Juda geholfen werden und Israel sicher wohnen. Und dies wird sein Name sein, mit dem man ihn nennen wird: »Der Herr ist unsere Gerechtigkeit«.
Darum siehe, es wird die Zeit kommen, spricht der Herr, dass man nicht mehr sagen wird: »So wahr der Herr lebt, der die Israeliten aus Ägyptenland geführt hat!«, sondern: »So wahr der Herr lebt, der die Nachkommen des Hauses Israel heraufgeführt und hergebracht hat aus dem Lande des Nordens und aus allen Landen, wohin er sie verstoßen hatte.« Und sie sollen in ihrem Lande wohnen.

Liebe Gemeinde,

ich beginne mit einem kleinen gedanklichen Schlenker und einer Frage:
Kennen Sie die Brüder Grimm?

Ja, die Märchensammler meine ich.
Und die Wortesammler.

In einem vielbändig großen Wörterbuch haben sie einst begonnen den Schatz der deutschen Wörter aufzuheben.

Ich hatte in diesem Jahr einen Kalender, da war für jeden Tag eines dieser Worte genannt in dem Zusammenhang, in dem es die Brüder Grimm oder spätere Bearbeiter gefunden hatten.
Mir war das Kalenderblatt oft morgendliche Freude ein völlig neues Wort zu entdecken. Ein paar von ihnen habe ich in einem Satz zusammengestellt:

Wie ein herbstdurchschütterter Strauch ist das zagende Vaterland, wir ocheln , d.h. seufzen, ächzen, jammern in dieser Dunkelsdichte, im Schlangentigerwald irrlechteliert die Kummergramverzierung hin und her und wir spintisieren uns durch unsere Melancholen, d.h. wir grübeln in unserem Gehirnweltglobus und verlirren alle Gackelfreude

Ist das schön oder aber ist das die Beschreibung vom heutigen Zustand der Welt oder ist das „Kickskacks", also inhaltsloses Gerede, eigentlich wohl mehr Gestammel als schöne Adventspredigt?
Und warum erzähle ich das?

Die Antwort auf die letzte Frage will ich geben:
In der letzten Woche schenkte mir der Kalender ein Wort. welches mir ein Schlüssel zur Tür des Advents und zu unserem Predigtext zu sein schien. Wie das Wort hieß?

„Sprachmenschwerdung“!

Potzdonner, ich fiel, als ich das las, vor Beglückung nicht gleich vom Stuhl und der Kaffee schwappte auch nicht vor Begeisterung über aus meiner Tasse, aber doch: das Wort ließ mich nicht los. „Sprachmenschwerdung“, das schien mir adventlich zu sein und dann las ich in dem Predigttext von der alten Königsverheißung des Jeremia:
Da heißt es von dem König, der da kommen soll, dass er mit dem Namen „Der Herr ist unsere Gerechtigkeit“ genannt werden wird.

Hier wird Sprache Mensch und besser noch menschlich.
Hier beugt Gott sich herab auf die Erde und gibt gute Richtung vor, hier nimmt er Menschen in seinen Dienst, die nicht wie Tyrannen sich aufführen, sondern die seinem Wort folgen und seiner Liebe Raum geben.
Hier wird das Wort Fleisch und das Licht leuchtet in der Finsternis, um es mit einem anderen großen biblischen Bild vom Advent, von der Ankunft Gottes zu sagen.

Jeremia, der Prophet verheißt mit den Wort vom gerechten Spross Davids den Messiaskönigssohn Gottes und durchbricht den Dunkelherbst von Zukunftsangst und Gegenwartssorge mit Adventsgedanken.

Siehe, es kommt die Zeit, da wird euch Hilfe zuteil werden und Recht und Gerechtigkeit sind dann keine abstrakten Begriffe mehr sondern Zustandsbeschreibungen. Und Gott ist nicht statisch unbeweglich und einmal dagewesen, sondern in euch und um euch gegenwärtig.

Und dann wagt Jeremia für seine Zeit die Erinnerungen an Gottes befreiendes Handeln umzubiegen in Zukunftsverheißungen:
Ihr, die ihr versprengt seid, vertrieben, gejagt und gemieden, ihr sollt einst sagen: So wahr der Herr lebt, er hat uns heraufgeführt und hergebracht aus allen Landen, und ihr sollt sicher wohnen. Ein gerechter König wird euch regieren, ihr werdet keine Untertanen sein, sondern Glaubende, deren Hoffnungen sich erfüllen.

Ist das zu groß gesagt? Und dürfen wir den Faden aufnehmen und heute sagen: Siehe, es kommt die Zeit, da wird das Virus uns nicht mehr bedrohen, weil unsere Wissenschaftler die Immunantwort gefunden haben in immer neuen Impfstoffen und weil ihr gelernt habt, vernünftig in der Natur zu leben. Und siehe, es kommt die Zeit, da werden eure Kinder wieder unbekümmert zur Schule und in die Kita gehen und es wird kein Schlauchboot-Schiff mehr untergehen, geladen, bis an sein höchsten Bord mit verzweifelten Menschen, sondern Rettungsboote gibt es und Fluchtwege, die enden nicht an stacheldrahtbesetzten Grenzen sondern in menschenwürdigen Aufnahme und nicht Abweiselagern.

Und darf ich dann weiter sagen und bitten:
So wahr der Herr lebt, gib mir Kraft und Liebe, die verschlossene Tür des Herzens zu öffnen für deinen Advent und dann hilf mir zu tun, was in meinen Kräften steht, damit dein Licht leuchtet in der Welt.

Ja, ich glaube, das darf ich, weil eben die Sprachmenschwerdung Gottes geschehen ist und geschehen wird und weil uns ein anderes Kalenderblatt erzählt von dem Gott, der „wunderwirklich“ bei uns ist und war auf Erden, „in menschlicher gestalt hailliglich, haylperlich und wunderwirklich wol 33 jar“, das ist Christus.

Um seinen Advent, um seine Ankunft bitten wir herzlich damit er ein „Farbenfeuer“ der Freude entzünde in uns.

Amen

Kantorei: Veni Emanuel
Abkündigungen
Gemeindelied: EG 11,1-3 Wie soll ich dich empfangen
Gebet, Vater unser
Segen
Kantorei: Komm, du Heiland aller Welt
Orgelnachspiel

P.S.: Den Kalender gibt es m. W. nicht im Jahr 2022, das Grimm'sche Wörterbuch aber können Sie auch digital und gratis aufschlagen:unter 

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