Predigt am 1.Sonntag nach Trinitatis am 14.Juni von Pastorin Sylvia Meyerding

Predigt am 1.Sonntag nach Trinitatis am 14.Juni von Pastorin Sylvia Meyerding

Predigttext Apg 4,32-35

Lesung: Lk 16,19-31

 Predigt: Friede sei mit euch von dem, der da war, der da ist und der da sein wird.                         

Liebe Gottesdienstgemeinde, es ist ein harter Text, den wir heute als Evangeliumslesung gehört haben. Lazarus bettelt -voll von Geschwüren- vor der Tür des Reichen. Der Reiche hingegen, der alle Tage herrlich und in Freuden gelebt hat, landet in der Hölle und erleidet dort im wahrsten Sinne des Wortes Höllenqualen. Die jesuanische Überlieferung ist dem Reichen gegenüber mehr als kritisch. Die Worte Jesu: „Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt“ oder „Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon.“ sind nur zwei von vielen Beispielen dafür.                                                  
In der frühen Christenheit war es dann die Frage: Wie gehen wir mit dieser Erkenntnis um? Können wir sie in unseren Alltag umsetzen? Im heutigen Predigttext hören wir, wie die Jerusalemer Urgemeinde versucht hat, diesem Anspruch gerecht zu werden. Dort heißt es: 32 Die ganze Gemeinde war ein Herz und eine Seele. Keiner betrachtete etwas von seinem Besitz als sein persönliches Eigentum. Sondern alles, was sie hatten, gehörte ihnen gemeinsam. 33 Mit großer Kraft traten die Apostel als Zeugen dafür auf, dass Jesus, der Herr, auferstanden war. Die ganze Gnade Gottes ruhte auf der Gemeinde.34 Keiner von ihnen musste Not leiden. Wer Grundstücke oder Gebäude besaß, verkaufte diese und stellte den Erlös zur Verfügung. 35 Er legte das Geld den Aposteln zu Füßen. Davon erhielt jeder Bedürftige so viel, wie er brauchte.    
Der Evangelist Lukas beschreibt also in seiner Darstellung der frühen Kirchengeschichte die Lebensweise der ersten Christen in drei Schritten:
1.      Niemand nennt etwas, das er hatte, sein Eigentum; sie teilen alles.
2.      Im Zentrum steht das Zeugnis der Auferstehung des Jesus von Nazareth und die Erfahrung, dass die Gemeinde die Gnade Gottes erlebt.
3.       Niemand leidet Not, denn alle Wohlhabenden verkaufen Land und Häuser lassen deren Erlös von den Aposteln verteilen.

Der Glaube dieser Gemeinde wird also gerahmt von zwei Berichten über den Umgang miteinander, in dessen Mitte das Verhältnis zu Eigentum steht. Die Erfahrung der Auferstehung ermutigt auch zur Verhaltensänderung im wirtschaftlichen Bereich.
Neu war diese Erfahrung nicht: Die Gemeinde verstand sich in der Tradition der jüdischen Gemeinde, wie sie im 5. Buch Mose Buch beschrieben wird. Auch dort findet sich eine Beschreibung der Gemeinde Gottes, die eine Art ökonomische „Gegenwelt“ schildert. Eigentum ist kein Selbstzweck, sondern steht im Dienst der Gemeinschaft. Die Verteilung orientiert sich an den Bedürfnissen der Ärmsten. Im 15. Kapitel heißt es: „Doch eigentlich sollte es bei Euch keine Armen geben!“ Im Hintergrund steht die Erfahrung der Befreiung des Volkes Israel aus der ägyptischen Lohnsklaverei und Zwangsarbeit. Die Gnade Gottes und gerechte ökonomische Verhältnisse gehören untrennbar zusammen. Die Idee einer Gemeinschaft, in der der Besitz den Bedürfnissen entsprechend verteilt wird, hat hier eine historische und soziale Wurzel. Immer wieder haben jüdische Glaubensgemeinschaften versucht, das umzusetzen.
Die junge christliche Gemeinde will auch so leben! Sie liegt damit durchaus im Trend. Auch zahlreiche griechische Philosophen geben immer wieder zu bedenken, dass ungleich verteilter Besitz eine Gesellschaft spalten kann. Platon forderte daher den Verzicht auf Gold, Silber und Häuser, Pythagoras verbannte bei seinen Jüngern den Privatbesitz und Aristoteles beschreibt einen idealen Staat, in der der wichtige Wächterrat durch Freundschaft verbunden ist und allen Besitz teilt.
Trotzdem klingt für mich diese Beschreibung der ersten Gemeinde zu schön, um wahr zu sein? Lukas schreibt seine Text Jahrzehnte später. Und die „gute alte Zeit“ wird leicht verklärt. Oder wie Loriot Opa Hoppenstedt sagen lässt: „Früher war mehr Lametta!“ Und auch Paulus und Lukas selbst sind ehrlich genug, um von Besitz- und Glaubensstreitig-keiten in den ersten Gemeinden zu besitzen.    „Ein Herz und eine Seele“ zu sein ist gar nicht einfach. Das wissen wir nicht erst, seitdem Corona Familien in engen Wohnungen durch Homeoffice und Homeschooling unter enormen Druck stellt. Und ich finde es schon erhellend, dass die Fernsehserie um Ekel Alfred Tetzlaff den biblischen Titel „Ein Herz und eine Seele“ erhielt. Selbst vier so unterschiedliche Familienmitglieder haben es schwer miteinander in einer Wohnung. Wie soll es da in einer großen Gesellschaft klappen? Und tatsächlich ist die Kluft zwischen Arm und Reich in all den Jahrhunderten nicht kleiner geworden. Im Gegenteil. Ganz wenigen gehört enorm viel und der großen Masse der Menschheit so gut wie nichts. Die acht reichsten Milliardäre besitzen mehr Vermögen als die gesamte ärmere Hälfte der Weltbevölkerung. Die Anhäufung von Reichtum in den Händen von ganz Wenigen nimmt stetig zu, während viele kaum zu essen haben und Milliarden schlecht leben. „Geld ist genug da - es muss nur anders verteilt werden“ Dieser Slogan forderte einst Umdenken in Pflege und Gesundheitswesen. Doch davon sind wir weit entfernt. Die Schere zwischen arm und reich geht immer weiter auseinander. Welt-weit und auch bei uns. 
Wir leben im Jahr 2020 in einem der reichsten Länder der Welt. Der Ausbruch der Pandemie hat gezeigt, wie privilegiert wir sind, hier zu leben. Unser Gesundheitssystem funktioniert, das Instrument der Kurzarbeit hat vieles erst mal aufgefangen. Milliarden werden eingesetzt, um die größten Härten zu mildern. Ich kann dafür nur dankbar sein, verdient habe ich es nicht. Gleichzeitig wird uns langsam bewusst sein, vor welchen Herausforderungen wir stehen. Auch wenn wir zurzeit die gesundheitlichen Auswirkungen der Pandemie im Griff haben, die Folgen werden immens sein: Tausende von Konkursen in der Tourismusbranche, Massenentlassungen in flugnahen Betrieben, unzählige Pleite gegangene Clubs und Schausteller- und ob die Jugendherbergen zu retten sein werden, weiß auch niemand.  Die Zahl der Menschen, die finanziell nicht mehr über die Runden kommen, wird auch bei uns deutlich zunehmen. Und dies ist erst die sehr begrenzte Perspektive auf unser reiches Land. Wie werden die Auswirkungen in Italien, Frankreich oder Spanien aussehen oder erst recht in Syrien, Bangladesch oder Äthiopien?  Und damit drängt sich die Frage auf: Wie halten wir es mit diesem urchristlichen Geist des Teilens? Wir könnten uns entspannt zurücklegen und sagen: Was soll`s? Die Geschichte hat gezeigt, dass es eh nicht klappt. Der Mensch ist einfachzu egoistisch.                                                Oder wir könnten darauf schauen, dass es in unserer Kirchengeschichte auch regelmäßig ganz andere Erfahrungen gab. Menschen, die dieses biblische «Keiner betrachtete etwas von seinem Besitz als sein persönliches Eigentum. » wortwörtlich nahmen und versuchten, es umzusetzen. Bettelorden, Benediktiner und Franziskaner, Täufer, Hutterer und Quäker, die sich stark an dieser urchristlichen Ethik der Gemeinschaft und des Teilens ausgerichtet haben. Sie haben über Jahrhunderte das oft einzige soziale Sicherungssystem bereitgestellt und die Not unzähliger Armer und Kranker gelindert.  Gerade bei ihnen haben christliche Werte oft genug überlebt, wenn die Kirche durch Gier nach Macht und Besitz vom rechten Weg abgekommen war.

„Die ganze Gemeinde war ein Herz und eine Seele. Keiner betrachtete etwas von seinem Besitz als sein persönliches Eigentum.“  Ein Anspruch, dem wir alle sicher nicht gerecht werden. Aber zumindest ein Wegweiser in die Richtung, in die es gehen soll. Denn die Bibel soll ja nicht nur ein Trostbuch sein, sondern uns und unsere Lebenspraxis auch in Frage stellen. Natürlich werden wir nicht alle Nöte dieser Welt auffangen werden, Handlungsspielraum haben wir trotzdem: wenn ein Spendenaufruf von Caritas oder Diakonie im Briefkasten liegt, wenn Abstimmungen anstehen, die sich für mehr Gerechtigkeit und Ausgleich einsetzen. Und genug Beispiele gibt es ja auch, die zeigen, dass Veränderungen auch im Kleinen möglich sind. Nicht umsonst heißt es: Wenn viele kleine Menschen an vielen kleinen Orten viele kleine Schritte tun, verändern sie das Gesicht der Erde.
Da kochen Menschen regelmäßig einen großen Topf Suppe für die Tageswohnung der Obdachlosen kochen hier im Johanniskirchhof. Da nehmen Sharingmodelle gerade bei jungen Leuten zu und sie nutzen nicht nur ein Auto, sondern auch Spielzeug für die Kindern, Klaviere und Lastenräder gemeinsam. Nicht alle müssen alles haben. Das Wir ist wichtiger als das Ich. Und wir sind letztlich alle miteinander verbunden. Es hat mich sehr berührt, dass ein Bürgerrechtlicher bei der Trauerfeier für George Floyd zwei Hoffnungszeichen genannt hat: Die zunehmende Teilnahme von Menschen anderer Hautfarbe bei den Aufmärschen in den USA und die Demonstrationen hier bei uns in Deutschland. Die großen Herausforderungen von Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung können wir nur gemeinsam lösen.
Die Bibel ermutigt uns dabei, die von Jesus kritisch aufgeworfene Frage: «Wie hältst du es mit Besitz?» immer wieder zuzulassen, uns verunsichern und auch von ihr bewegen zu lassen. Vielleicht nicht gerade viel, wenig aber auch nicht. Und immerhin sind wir nicht allein. Gottes guter Geist schenkt uns immer wieder Kraft und Mut, so wie es im nächsten Lied beschrieben wird.                       

Lied:              Komm, heilger Geist                      

Kehrvers: Komm, Heilger Geist, mit deiner Kraft, / die uns verbindet und Leben schafft.                                1. Wie das Feuer sich verbreitet / und die Dunkelheit erhellt, / so soll uns dein Geist ergreifen, / umgestalten unsre Welt. Kehrvers                                              
2. Wie der Sturm so unaufhaltsam, / dring in unser Leben ein. / Nur wenn wir uns nicht verschließen, / können wir deine Kirche sein. Kehrvers                             
3. Schenke uns von deiner Liebe, / die vertraut und die vergibt. / Alle sprechen eine Sprache, / wenn ein Mensch den andern liebt. Kehrvers                                        
T:Klaus Okonek/J.Raile 1962 1M:S.Levy-Tanai 1975