Predigt am Sonntag Quasimodogeniti (lat.: wie die neugeborenen Kinder) am 19. April 2020 von Pastor Stefan Henrich

Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen

Der Predigttext steht im Buch des Propheten Jesaja im 40. Kapitel:
26 Hebt eure Augen in die Höhe und seht! Wer hat all dies geschaffen? Er führt ihr Heer vollzählig heraus und ruft sie alle mit Namen; seine Macht und starke Kraft ist so groß, dass nicht eins von ihnen fehlt.
27 Warum sprichst du denn, Jakob, und du, Israel, sagst: »Mein Weg ist dem Herrn verborgen, und mein Recht geht an meinem Gott vorüber«?
28 Weißt du nicht? Hast du nicht gehört? Der Herr, der ewige Gott, der die Enden der Erde geschaffen hat, wird nicht müde noch matt, sein Verstand ist unausforschlich.
29 Er gibt dem Müden Kraft und Stärke genug dem Unvermögenden.
30 Jünglinge werden müde und matt, und Männer straucheln und fallen;
31 aber die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden.



Liebe Gemeinde,
ein Mensch allein vermag die Fülle der Sterne am Himmel nicht zu zählen, und auch heute mit den allerbesten Computerprogrammen lässt sich die Gesamtzahl der Himmelskörper nur schätzen.
Sie beträgt rund 10 Milliarden Sterne in einer jeden der rund 10 Milliarden Galaxien, das heißt 10 hoch 20 Sterne dürfen wir annehmen, gibt es. Deren Licht leuchtet in das Dunkel unserer Nächte hinein.

Mich hat es fasziniert, als ich als Junge irgendwann den Gedanken präsentiert bekam, dass eine Vielzahl von Sternen, die wir sehen, schon seit vielen Jahrmillionen nicht mehr existieren, nur ihr Licht ist noch unterwegs zu uns  in wellenförmigen Bewegungen und trifft jetzt-endlich die Netzhaut unserer Augen. Der das Licht aussendende Stern in der Unendlichkeit des Universums aber ist lange verglüht.

„Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst...“ (Psalm 8,4), wer bin ich mit meiner Handvoll Jahre vor dem Werden und Vergehen des Weltalls? Ist hinter, vor, über und unter all dem eine ordnende Hand, ein guter Sinn, ein fernes Ziel?
Ist der gestirnte Himmel über mir der Ausgangspunkt einer inneren Gotteserkenntnis?

Vor 2500 Jahren hat der Prophet Jesaja seine Landsleute aufgefordert, die Augen zu erheben und den Blick in den Himmel zu lenken. Es ist Nacht, innen und außen. Jesaja spricht zu traurig verzweifelten, heimatlos gewordenen Israeliten, die an den Wassern Babylons sitzen und weinen (Psalm 137,1).
Einen Dreiklang der Hoffnung stimmt Jesaja in diesem Geheule an.
Zuerst grundsätzlich auf die Sterne deutend fragt er:
Wer hat diese alle geschaffen?
Antwort: Nicht das Nichts ist schöpferisch tätig, sondern Gott hat sie alle geschaffen mit absichtsvollem Plan. Gott lässt nicht nur leuchten am Himmelszelt, er ruft die Sterne alle auch mit Namen, 10 hoch 20, 10 Milliarden Sterne jeweils  in 10 Milliarden Galaxien, unvorstellbar.

Ich las einmal in der ZEIT, dass das Forscherleben des hochbetagten Astrophysikers Reimar Lüst 1991 damit gekrönt wurde, dass ein Planetoid  nach ihm benannt wurde. Eigentlich hatte der Stern die Nummer 4336, jetzt aber heißt er Lüst, welch schön klingender Sternenname.
Lust und Licht funkeln da ja gleich mit im Spiel der Buchstaben, was aber ist das gegen die Wortakrobatik des Propheten, der da sagt, Gott führt die Sterne alle namentlich heraus, und nicht ein einziges kleines Sternlein geht dabei verloren.
Ach ja, und eine kleine Spitze ist auch noch drinnen in diesen Worten, wenn wir uns bewusst machen, dass Jesaja diese Worte den in Babylon gefangenen Israeliten sagt: Die Babylonier, die kannten doch ihrerseits den einen Gott Israels nicht, die hatten vielmehr jede Menge so genannter Astralgötter, sprich die verehrten Sonne, Mond und Sterne als göttliche Schicksalsmächte. Und wie sagte da der Prophet? Gott führt die Sterne alle wie an der Perlenschnur aufgereiht des Nachts heraus, in seiner Hand sind sie, seinem Plan folgen sie. Schöpfungswerke des Ewigen sind die Sterne, laternenmäßig aufgehängt am Himmel so wie die Sonne und der Mond.
 
Jesaja lenkt den Blick der verzagten Israeliten an den Himmel um Gotteserkenntnis zu wirken und Relationen gerade zu rücken.
Wenn Gott so groß ist, dass er all dieses geschaffen hat und nach seinem Plan lenkt, warum zweifelst du dann an seinem Weg? Warum denkst du, dass Gott müde, lustlos und desinteressiert an seiner Welt geworden ist? Weil Gott nicht tut, was dir gefällt?
Mit dem Gewicht der ganzen Erde schreit Jesaja seinen Protest gegen diese fatalistische Welt- und Lebenssicht heraus. Gott, der Schöpfer aller Welt Enden wird nicht müde und matt. Und wenn du das doch meinst, dann projizierst du das womöglich aus deiner eigenen Befindlichkeit in ihn herein.

Gott wird nicht müde noch matt, sein Verstand vielmehr ist unausforschlich( Jesaja 40,28)
Gottes Verstand ist in Relation zu unserem Verstehen in etwa so wie das Leuchten meiner Augen zum Glanz aller Sterne am Himmel, hier Staubkorn und dort Ewigkeit.

Jesaja spricht zu Müden und Hoffnungslosen von einer Größe Gottes, die dich trägt und birgt.
Das ist die dritte Stimme im Hoffnungsklang des Jesaja. Gott der Ewige, der Erhabene, der Schöpfer von Himmel und Erde wendet sich dem einzelnen Geschöpf zu, - anders gesagt, den elenden Wurm  der Existenz lässt er nicht am Haken der Hoffnungslosigkeit verhungern.
Der Unermüdliche kräftigt den Müden, der Kraftvolle stärkt den Kraftlosen.
Die Deprimierten, die sprechen: „Unsere Gebeine sind vertrocknet, verloren ist unsere Hoffnung, es ist aus mit uns“ (Ezechiel 37,11), kehren zu neuem Leben und zu neuer Frische zurück.
Aus der Quelle des Guten  fließt Lebensmut zu, wer heute schwach ist, wird morgen gestärkt. Die Verhältnisse kehren sich um, Jünglinge werden schwach und die Starken werden straucheln. (Jesaja 40,30)
Die körperliche Kraft allein genügt nicht im Leben, denn sie wird immer schwächer, auch eine Erfahrung, der Jesaja bildreich schön anderes gegenübersetzt.
Es bedarf seelischer Ausrichtung auf Gott. "Die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft" (Jesaja 40,31).
Harren heißt ausdauernd warten.  Harren heißt Härten wegstecken und trotzdem festhalten, harren heißt sich festkrallen an der Hoffnung und nicht aufgeben.
Harre des Herrn, sei getrost und unverzagt und harre des Herrn, so heißt es in den Psalmen ( 27, 14). Ist dieses Wort vom „harren“ auch deshalb fast aus unserem Sprachschatz verschwunden, weil die inne liegende Haltung so selten anzutreffen ist?
Jesaja malt das Harren als die Zugangsquelle zu Gott vor Augen und wer sich Gott überlässt und von ihm Weisung und Geleit empfängt, der bekommt neue Kraft mitten im Fallen und in Schwachheit.
Flügel wie Adler machen schwebeaufwindleicht in der Schwere der Zeit, Licht und Ewigkeit siehst du und Gotteserkenntnis hast du. Greise laufen Marathon auf der Himmelsbahn und babylonisch Gefangene kommen heim.
Die Sterne leuchten am Horizont und im Herzen, der Schöpfer ist einig mit dem Geschöpf. Glaube und Hoffnung erfüllt die Welt, Liebe das Herz.

Liebe Gemeinde, ich hoffe, sie sagen nun nicht, nun ist Jesaja völlig übergeschnappt. Nein, Jesaja antwortet auf mühselig schwere Fragen des Menschen, die unsere eigenen Fragen auch immer wieder sind: Wozu alles, warum die Mühe, wo liegt der Sinn?
Jesaja tröstet und richtet auf, er lenkt den Blick von der introvertierten Nabelschau an den Himmel  und spricht Betrübten Mut zu.
Der Weg mag verborgen erscheinen, die Sterne aber leuchten. Der Blick zum Himmel mag Bescheidenheit lehren, zugleich aber auch Einsicht, dass Gott da ist, als der Vater im Himmel, der diese Welt samt uns  geschaffen hat, damit wir das Leben haben in Seiner Fülle und Gnade.
Das möchte ich vor Augen und im Herzen behalten, jetzt in dieser Corona-Zeit, vielmehr aber mein Leben lang.    Amen

Nach der Predigt gut zu singen: Weißt du, wieviel Sternlein stehen.... (Evang. Gesangbuch Nr. 511)