Bibelbuchstäbliche Glaubensperlen und ein Poesiealbum. Eine Predigt von Pastor Stefan Henrich

Predigttext  Epheser 2, 4:

Gott, der reich ist an Barmherzigkeit, hat in seiner großen Liebe, mit der er uns geliebt hat, 5auch uns, die wir tot waren in den Sünden, mit Christus lebendig gemacht – aus Gnade seid ihr gerettet –; 6und er hat uns mit auferweckt und mit eingesetzt im Himmel in Christus Jesus, 7damit er in den kommenden Zeiten erzeige den überschwänglichen Reichtum seiner Gnade durch seine Güte gegen uns in Christus Jesus. 8Denn aus Gnade seid ihr gerettet durch Glauben, und das nicht aus euch: Gottes Gabe ist es, 9nicht aus Werken, damit sich nicht jemand rühme. 10Denn wir sind sein Werk, geschaffen in Christus Jesus zu guten Werken, die Gott zuvor bereitet hat, dass wir darin wandeln sollen.


Liebe Gemeinde,


Die Worte in diesem Predigttext sind wie alte Kostbarkeiten an einer Perlenschnur aneinandergereiht, überschwänglich überbordend folgt religiös aufgeladen schönes Wort auf Wort. Der ganze Schatz unser Überlieferung schimmert wie ein Schmuckstück dem, der es trägt. Und andere gibt es, die haben diesen Schmuck längst abgelegt, können mit den Schlüsselbegriffen unseres Glaubesn rein gar nichts mehr anfangen: Barmherzigkeit, Gnade, auferweckt und im Himmel eingesetzt, o meine Güte…, nein, oh Gottes Güte ist doch gemeint, überschwänglicher Reichtum ist uns durch Christus gegeben, wir sind gerettet durch den Glauben, können auch hoffen und lieben wider alle Vernunft und haben unseren Wert und unsere Würde nicht kraft eigener Leistung, sondern weil wir Gottes Geschöpfe sind, geschaffen in Christus zu guten Werken, dass wir darin wandeln und handeln sollen.

Kommen Sie noch mit? Oder überfordert die geballte Ladung der christlichen Terminologie den nüchternen Verstand?
Ich will jetzt nicht mit Erklärungen zu einzelnen Worten ansetzen.Aber eine Reaktion einer lieben Leserin auf das Wort "Barmherzigkeit" in der Jahreslosung will ich wiedergeben und beherzigen.Die Jahreslosung heißt ja: Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist. (Lukas 6,36)

Die Leserin, eine engagierte Pädagogin, schrieb: "Mein Wunsch für die kommende Zeit: Alle Kinder mögen das Wort BARMHERZIGKEIT kennen. ‚Alte‘ Begriffe können sie sich gut merken, weil sie nirgends mehr vorkommen. Und dann sollen sie Geschichten erzählen, erfinden, hören.“

Ich bin zwar kein Kind mehr, aber eine Geschichte möchte ich doch erzählen, meine beste Geschichte dieser Woche. Ich hole weit aus:
Wir hatten uns im Dienstagskreis vor zwei Wochen über Poesiealben unterhalten und zum nächsten Treffen hatte eine Teilnehmerin eines mitgebracht. Wie schön war das! Es stammte aus den fünfziger Jahren, rotes Lackleder ohne Schnalle, drinnen bunte Oblaten- Klebebilder und jede Menge gefüllter Seiten mit Sinnsprüchen, Gedichten und anderen Weisheiten.
"In allen vier Ecken soll Liebe drinstecken“ und ich weiß jetzt wo Drafi Deutsher sein „Marmor, Stein und Eisen bricht“ her hatte.
Im Poesiealbum hieß das „Marmor, Stahl und Eisen bricht, aber unsere Freundschaft nicht“ und dann stand auf der nächsten Seite
"Rosen,Tulpen,Nelken,
alle Blumen welken,
nur die eine nicht,
und sie heißt Vergißmeinnicht."

Auch den Lieblingsvers meiner Großmutter fand ich im Album wieder:
"Willst du glücklich sein im Leben,
trage bei zu And'rer Glück
denn die Freude, die wir geben,
kehrt ins eigne Herz zurück."

In Sütterlin oder schön geschwungener Schreibschrift wirkten die Grüße dann manchmal etwas dick aufgetragen: „In ewiger Freundschaft“ oder „In stetem Gedenken, deine Elisabeth.“
Jungs fehlten, Lehrerin und Pastor aber hatten reingeschrieben, den Eltern war noch ein Platz mit Bleistift vorgemerkt, sie hatten es aus welchen Gründen auch immer nicht geschafft.

Wir hatten unsere Freude, die Verse zu entdecken. Und ich erinnerte mich, dass meine Schwester auch ein Poesiealbum hatte und ich auch was reinschreiben sollte oder besser gesagt durfte. Das war ein echter Angang, aber ich hatte dann doch einen Spruch gefunden, der mir gefiel und den ich dann mit Tintenklecksfüller mehr reinklierte als schön schrieb.

Der Satz hieß: „Ich mißbillige, was du sagst,
aber bis in den Tod werde ich dein Recht verteidigen es zu sagen.“

Den Namen des Autors setzte ich darunter: Voltaire.

Der Vers vermochte zweierlei: Meiner Schwester einen mitzugeben, was in einer gewissen vorpubertären Phase im Geschwistergerangel durchaus üblich ist.
Und doch vermochte der Satz auch nicht frei von einem gewissen angeberischen Pathos zu sagen: Ich will dein Beschützer sein und verteidigen, was auch immer du für Unsinn redest.

Wie aktuell ist das gerade heute, da immer mehr Leute meinen, anderen den Mund verbieten zu können indem sie vorschreiben, wer was und wie sagen darf und wer nicht mehr redefähig ist, weil er oder sie nicht zur Gruppe der Betroffenen zählt.
Wie wohltuend ist dagegen der Satz von Voltaire! Das ist ein Grundsatz jeder echten Toleranz.

Toleranz heißt etwas ertragen und es gegebenenfalls verteidigen, obwohl es gerade nicht meiner Meinung entspricht.
Manchmal hat man heute ja den Eindruck, ganze Gruppen von Leuten tolerieren nur noch das, was sie selber für richtig halten. Alles andere unterliegt einem moralinsaurem Verbot oder wird zum Tabuthema erklärt. Das aber führt die Toleranz und damit auch die Meinungsfreiheit ad absurdum. Ungnädiger, unbarmherziger und selbstgerechter geht es kaum noch.

Zurück zum Poesiealbum.
Ich blätterte um und komme zur Geschichte, die ich erzählen wollte:

Ich sah unter einem  nüchtern hingeschriebenen Spruch im Poesiealbum:

Sei getreu bis in den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben.
„Oh“, sage ich, „das ist aus der Bibel.“
„Ja“, sagt eine, „das kenne ich.“
„War das ihr Konfirmationsspruch?“ frage ich.
„Nein“, sagt sie, „den hat mir mein Mann geschrieben.“
Wir schnappen hörbar nach Luft.
„Wie...?“ frage ich
„Ja, im ersten Liebesbrief schrieb er mir das, den Brief hab ich noch….“

Wir mussten alle herzlich lachen.
„Haben sie verstanden, was er meinte?“ fragte ich.
„Nein, nicht richtig...,“ sagt die Frau und ich meinte:
„ Das ist klasse: Sei getreu bis in den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben. Aber das hätte auch mich ein bisschen überfordert, dieses Wort im ersten Liebesbrief zu lesen.“
Ob dieser Vers aus der Offenbarung des Johannes dann Trauspruch wurde und die Ehe glücklich habe ich nicht explizit gefragt, aber ich glaube es war so.

Unvermutet bibelwörtlich Gnadenwort in einem ein ganz anderen Zusammenhang ist das gewesen. Aber genau das ist Gnade, Charme Gottes, der hereinstrahlt in unserr Leben.
Gnade heißt im griechischen Xaris und von daher kommt unser Wort charmant...

Das alte Schmuckstück, die Perle Gottes beginnt zu leuchten an der Schnur des Glaubens und des Lebens. Überschwänglicher Reichtum, Liebe, Barmherzigkeit, Güte und gute Werke werden eins.

Zum Schluß noch eine andere kleine Geschichte:

Von einem preußisch harten König heißt es, er habe einst ein Todesurteil mit drei Worten vorgelegt bekommen zum unterschreiben:

Das Urteil hieß:
"Gnade unmöglich, aufhängen!"
Der König veränderte ein Komma , weil offenbar die Barmherzigkeit Gottes sein Herz streifte und er es ernst nahm, dass wir gerettet sind aus Glauben.
Da stand nun der Satz:
Gnade, (Komma oder besser noch Ausrufezeichen) unmöglich aufhängen!


Die Perlenschnur des Glaubens schafft gelegentlich überraschende und schönste Momente. Mögen wir sie auch in unserem Leben funkeln sehen oder nachlesen können, so wie in unserem Predigttext, dem eingangs Gehörten.

Amen