Von Robert, Ingo und Zachäus - Eine Predigt in Wahlkampfzeiten zum 14. Sonntag nach Trinitatis von Pastor Stefan Henrich

Predigttext Lukas 19, 1-10:

Und Jesus ging nach Jericho hinein und zog hindurch. Und siehe, da war ein Mann mit Namen Zachäus, der war ein Oberer der Zöllner und war reich. Und er begehrte, Jesus zu sehen, wer er wäre, und konnte es nicht wegen der Menge; denn er war klein von Gestalt. Und er lief voraus und stieg auf einen Maulbeerfeigenbaum, um ihn zu sehen; denn dort sollte er durchkommen. Und als Jesus an die Stelle kam, sah er auf und sprach zu ihm: Zachäus, steig eilend herunter; denn ich muss heute in deinem Haus einkehren. Und er stieg eilend herunter und nahm ihn auf mit Freuden.

Da sie das sahen, murrten sie alle und sprachen: Bei einem Sünder ist er eingekehrt. Zachäus aber trat herzu und sprach zu dem Herrn: Siehe, Herr, die Hälfte von meinem Besitz gebe ich den Armen, und wenn ich jemanden betrogen habe, so gebe ich es vierfach zurück. Jesus aber sprach zu ihm: Heute ist diesem Hause Heil widerfahren, denn auch er ist ein Sohn Abrahams. Denn der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist.
 

Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen

Liebe Gemeinde,

Robert kommt! Es ist Wahlkampf.
Die Aufregung ist groß. Am Museumshafen drängeln sich Hunderte mit Abstand. In der ersten Reihe stehen auffällig viele Frauen mit Lastenfahrrädern, andere schwenken Transparente mit Klimaparolen und manch einer hat eine Sonnenblume nicht im Knopfloch aber in der Hand. Kinder spielen miteinander, Hunde kläffen nicht, es herrscht eine entspannte sommerlich heitere Atmosphäre unten am Hafen.
Mit einmal kommt Lärm auf. Nein, Robert kommt noch  nicht, aber das Gedröhn einer schweren SUV-Maschine ist  zu hören, ist der Fahrer denn verrückt? Er lässt den Motor noch mal extra aufheulen ehe er mit kühnem Schwung den Benzinfresser an der Kaimauer zum Stehen bringt und aussteigt. Die Menge wendet sich angewidert ab. Will der etwa auch zu Robert? Die Leute rücken ein bisschen enger zusammen, sie tragen ja Masken. Den lassen sie nicht durch, der will doch bestimmt nur stören.
Hinter der Hafenwerkstatt ist der Fahrer verschwunden. In seinem feinen Anzug klettert er auf eine Regentonne und dann aufs Dach. Hat er sie noch alle?
Vorne kommt Bewegung auf. Robert ist da. Die Menge klatscht schon mal vorab.
Robert sieht sich um, nickt freundlich und wendet dann den Blick nach oben. „Hallo Ingo“, ruft er, „Schön, dass du da bist. Hast du Zeit für einen Kaffee?“
Die Menge wagt ihren Ohren nicht zu trauen.
Robert fragt: „Wißt ihr, was ihr wählen wollt? Dann ist ja gut, ich gehe jetzt zu Ingo...“
Ingo klettert vom Dach, die beiden verschwinden.
Die Menge empört sich und twittert das auf Facebook. Robert aber hat einen schönen Nachmittag und am Ende kauft er sich auch ein so schönes SUV-Auto.
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Nein, das mit dem Autokauf ist ein Witz, sonst aber ist das die Geschichte von Jesus und Zachäus ziemlich eins zu eins ins profane Hier und Heute gewendet.

Damals hatte es sich auch herumgesprochen im Ort, Jesus würde kommen.  Die Straße ist dicht gesäumt von den vielen Menschen und da hat ein Zöllner namens Zachäus ein Problem. Genau genommen hat er zwei Probleme. Das erste: Die Leute mögen Zachäus nicht und sie lassen ihn deshalb nicht durch. Warum die Leute Zachäus nicht mögen? Weil Zachäus reich ist und ein Gauner dazu, er zieht den Leuten das Geld aus den Taschen und bereichert sich dabei.
Das zweite Problem ist, dass Zachäus klein ist von Gestalt. Er kann also nicht mal über die Leute hinweg gucken, um Jesus zu sehen.

Da tut Zachäus etwas, was  ungewöhnlich ist für einen reichen Mann im vermutlich reiferen Alter.
Zachäus klettert auf einen Baum, um sich dort die bessere Sicht zu verschaffen.

Die da unten werden doch nur drauf gewartet haben, dass er runter fällt.
Tut er aber nicht, Zachäus wartet da oben darauf, Jesus zu sehen.
Jesus kommt dann auch, und dann passiert das, was ich als ein grundlegendes Geschehen evangelischen Glaubens bezeichnen möchte:
Der alles andere als wohlgelittene Mann auf dem Baum wird nun selber von Jesus gesehen. Jesus schaut hoch zu ihm und spricht ihn an: „Zachäus bei dir will ich heute einkehren.“
Das, liebe Gemeinde, muss wie eine Ohrfeige in den Ohren der vielen Leute am Straßenrand geklungen haben.
Alle warten doch auf Jesus, alle hoffen insgeheim darauf, dass Jesus zu ihnen Kontakt aufnimmt, zu ihnen, die sie rechtschaffen sind und ordentlich, die fromm sind und politisch korrekt sich verhalten, und dann müssen sie erleben, dass Jesu Blick geradewegs über sie hinweg geht ausgerechnet zu Zachäus, dem Gauner, welch ein Skandal.
Kein Wunder, dass die Leute später über Jesus nichts Gutes sagen. Ein  Fresser  und  Weinsäufer sei er, ein Freund der Huren und Sünder.
Aber, liebe Gemeinde, gerade in diesem unvermutet überraschenden Verhalten Jesu liegt das ganze Evangelium von der Gnade und Liebe Gottes verborgen.

Zachäus nämlich freut sich einen Ast und fällt nicht von demselben.
Er, der geschnittene und verhasste darf Gastgeber sein für Jesus, welch eine Freude, welch ein Glück.
Schnell steigt er runter vom Baum und geht mit Jesus nach hause. Wen wundert es, dass die Leute murren.

Und dann im Zuge dieser Begegnung ereignet sich Wundersames. Zachäus gibt von seinem Glück weiter. Die Hälfte seines Besitzes will er den Armen geben und alle diejenigen, die er betrogen hat, will er vierfach entschädigen.
Hierin, liebe Gemeinde, liegt der zweite evangelische Clou der Geschichte.
Nicht die Forderung Jesus nach einem besseren Leben ist der Auslöser für gutes Verhalten, sondern alleine die Zuwendung, die Zachäus erfährt.

Jesus sagt nicht zu Zachäus: „Ich weiß, dass du ein Betrüger bist, aber wenn du dich besserst, will ich mit dir zu Tisch sitzen.“ Nein, bedingungslos geht Jesus auf Zachäus zu. Er sieht den kleinen Mann mit dem großen Gaunerherzen und stößt ihn doch nicht weg, wie das die vielen Passanten tun. Heil wird in der Begegnung gewirkt und die Liebe Jesu wirkt Umkehr bei Zachäus.
Anders gesagt: Die Wiedergutmachung des Zachäus ist keine Voraussetzung für die Zuwendung Jesu.

Jesus geht mit der Liebe Gottes hin zu den verlorenen Sündern, und gerade im Hintragen dieser Liebe liegt die Chance zur Umkehr.

Liebe Gemeinde, noch einmal zurück zu der Eingangsszene, ohne dass Sie das jetzt als Wahlwerbung (miß)verstehen. Ingo überlegte sich nach dem Kaffee, ob er sich neben seinem SUV nicht doch als Zweitgefährt ein Lastenfahrrad anschaffen sollte, mit dem er dann öfter Einkaufen fahren wolle. In jedem Fall aber wollte er einen Scheck ausstellen für die Umwelthilfe zur Renaturierung von Mooren und Flussläufen. Das schien ihm nach dem Gespräch mit Robert sinnvoll zu sein.
Amen