Predigt am 2. Sonntag n. Trin. in St. Jürgen von Pastor Stefan Henrich


Predigttext Mt 11,25-30:
„Zu der Zeit fing Jesus an und sprach: Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, dass du dies Weisen und Klugen verborgen hast und hast es Unmündigen offenbart. Ja, Vater; denn so hat es dir wohlgefallen. Alles ist mir übergeben von meinem Vater, und niemand kennt den Sohn als nur der Vater; und niemand kennt den Vater als nur der Sohn und wem es der Sohn offenbaren will.  Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken. Nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir; denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen. Denn mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht.“

Liebe Gemeinde,
die chinesische Schriftstellerin Fang Fang machte in ihrem Tagebuch, das sie während der Zeit des Lockdown  in Wuhan schrieb, am 24. Februar folgenden Eintrag:

„Der Zivilisationsgrad einer Nation misst sich nicht an der Höhe von Gebäuden, der Geschwindigkeit der Autos, der Effizienz der Waffen und der Schlagkraft der Armee. Er misst sich auch nicht daran, wie fortschrittlich die Wissenschaft und wie glanzvoll die Künste sind. Und schon gar nicht am Aufwand von Tagungen und an der Pracht der Feuerwerke und nicht einmal an der Zahl von Touristen, die in die Welt ausschwärmen und die Luxusgeschäfte leer kaufen. Der einzige Maßstab ist ihre Haltung gegenüber den Schwachen.“ (aus dem Vorabdruck des Tagebuches in: DIE ZEIT Nr. 23 vom 28. Mai 2020, S. 45)

Die Worte klingen wie ein zeitgemäßer Widerhall auf Jesu Wort von den Mühseligen und Beladen, die er zu sich ruft, damit sie Erquickung finden und Ruhe für ihre Seelen.
Das ist ja das vielfache Sehnen zur Zeit, dass wir von allen Erschöpfungen und Bedrückungen Entlastung finden und Erholung. Aufs deutlichste hat sich dieses Sehnen bei uns ganz in der Nähe Anfang letzter Woche mitten in der Nacht ausgedrückt, als vor Mitternacht an den Grenzübergängen Richtung Dänemark jede Menge Staus entstanden. So viele wollten punktgenau rüber, ab in das Ferienhaus oder auf den Campingplatz.
Endlich Urlaub, endlich Wind und Weite und barfuß durch das Gras am Ufer der grünen Aue oder durch den Sand ans Meer. Da ist Erquickung, das ist Ruhe für die Seele, für diejenigen, die es sich leisten können.

Davon können andere nur träumen.
Ihre Last ist ungleich schwerer geworden in diesem Jahr.
Den Sommer müssen sie durcharbeiten, um finanziell wieder auf einen halbwegs grünen Zweig zu kommen.
Der eine verzweifelt darüber nicht sondern weiß sich immer noch einverstanden mit den Lockdown-Maßnahmen, auch wenn sie ihm wirtschaftlich richtig geschadet haben.
„Was war nach dem Krieg“ hat ihn neulich seine Mutter gefragt, „da sind wir auch wieder hochgekommen, mit Gottvertrauen und eigener Kraftanstrengung haben wir das geschafft“, hatte sie gesagt und er erinnert sich, dass früher im Schlafzimmer der Eltern ein Bild hing vom guten Hirten, der die Schafe zur frischen Aue führt.

Wie von fern kommen alte Worte in ihm hoch. Im Konfirmandenunterricht hatte er die gelernt.
„Du führest mich auf rechter Straße“ und
„...du erquickest meine Seele“.
„So spricht doch niemand mehr“, denkt er, „und trotzdem klingt das schön.“

In der letzten Woche war er mit seiner Frau und seinen Enkeln  im Tierpark Warder gewesen. Dort hatten sie richtige Schafe gesehen und auch ganz viele unterschiedliche Ferkel. Die Schafe waren eher müde gewesen, aber die Ferkel, die waren quicklebendig durchs Gehege gerannt und hatten sich im Matsch gesuhlt.
Ob das was mit erquicken zu tun hatte?
Über die Gedanken schieben sich schnell Bilder aus den Schlachthof, von zerlegten Tieren und den Mitarbeitern. „Was sind das für Bedingungen?“ haben sie auch in der Tagesschau gefragt. Er selber hat heute abend eine Einladung zum Grillfest. Was da wohl auf den Tisch oder den Teller kommt?

Ganz anders leidet die nette Frau aus der Nachbarschaft unter Mühsal und Lasten. Die Kinder sind aus dem Haus, der Mann auch. Aus Schwermut waren Depressionen geworden, hatte die Ärztin gesagt.
In einem evangelischen Krankenhaus hatte sie eine Kur machen können mit einer Reihe von guten Gesprächen. Da war auch eine Seelsorgerin gewesen. Der hatte sie ihr Herz öffnen können noch einmal ganz anders.
Einmal war sie zur Andacht gegangen
Die Seelsorgerin hatte die Andacht eröffnet mit eben diesen Worten Jesu: „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid.“
Da hatte sie sich persönlich angesprochen gefühlt, fast wie bis bis ins Innerste erkannt. Es war, als breite sich ein warmes Licht in ihr aus.
Mitsingen konnte sie nicht (die Kur war ja noch vor Corona und dem Singeverbot in den Kirchen gewesen...), die Lieder waren ihr alle fremd, aber die Musik hatte ihr gut getan, hatten ihr manchmal sogar die Tränen in die Augen getrieben. Es war dabei, als löste sich ein Stein von ihrer Seele.
Die Seelsorgerin sprach dann davon, dass Kirche der Leib Christi sei.
Den Gedanken fand sie interessant.
„Wenn ich also in einem evangelischen Krankenhaus bin oder zu Diakonie gehe, dann ist das doch Kirche. Und wenn Kirche der Leib Christi ist, dann handelt Christus an mir durch die vielen, die da arbeiten. Ob die das wissen?“

Die Seelsorgerin hatte dann auch gesagt, das jede und  jeder in diesem Leib seine eigene ganz persönliche Aufgabe im Leben habe, „ein jeder nach der Gnade die uns gegeben ist (Römer 12, 6)“. So hatte sie das mit biblischen Worten gesagt. Nicht jeder muss also alles schultern, du darfst auch Lasten abgeben auch in der Familie und im Beruf spann sie den Gedanken weiter für sich.

Es war diese ganz eigentümlich schöne Spannung von persönlichem Angesprochen sein durch die Worte Jesu und den Gedanken, die die Seelsorgerin dazu geäußert hatte, die diese Andacht richtig wertvoll gemacht hatten für die Frau.

Ob sie die Wohltat davon mitnehmen könne in ihr Leben hinein.
Zuhause fühlte sie sich wieder ganz klein angesichts der Aufgaben, die ihrer warteten.
In einem stillen Augenblick aber nahm sie ihr Smartphone und suchte in ihrer Suchmaschine nach dem Wort von den Mühseligen und Beladenen. Sie machte eine überraschende Entdeckung.
Bevor Jesu sagte,dass die Mühseligen und Beladenen zu ihm kommen sollen, hatte er Gott gelobt, seinen Vater im Himmel.
Und ausdrücklich hatte er gesagt, dass man für Gottes  Wahrheit kein Hochschulstudium oder einen bestimmten Intelligenzquotienten braucht. So jedenfalls hatte sie die Worte verstanden. Ganz im Gegenteil, so sagt Jesus, erschließt sich die Wahrheit und Klarheit Gottes den Unmündigen, also den Kindern, die noch ganz unbefangen glauben und vertrauen können. Ob sie dahin wieder kommen könne?

Die weiteren Worte Jesuverstand sie nicht so recht. Warum solle nur der Sohn den Vater kennen und der Vater nur den Sohn? Das hieße ja, wenn der Vater Gott ist, dass kein anderer ihn kennen könne. Und was wäre mit den Töchtern?
Oder bedeutet das, dass wir Gott erkennen, wenn wir auf Jesus blicken oder zu ihm beten?
Das wäre dann ja gar nicht so schwer, oder doch?

Die Gedanken drehten sich heiß. Zum Glück hatte sie heute abend eine Einladung zum Grillen bei Nachbarn. Ob sie da über das reden könne, was sie beschäftigte? Sie wollte das versuchen.
Amen