Die Anbetung der Hirten - Ein Bildbetrachtung zur Christnacht von Pastor Stefan Henrich

Liebe Gemeinde in der Heiligen Nacht,

Sie halten das fast fünfhundert Jahre alte Bild „Die Anbetung der Hirten“ in Händen. Der venezianische Maler Lorenzo Lotto hat es gemalt.
Sich selber bezeichnete Lotto in seinem Alter in einem Testament von 1546 als „... allein, ohne einen treuen Herrn und sehr unruhig im Geiste“.
Zu diesem Zeitpunkt hatte die Melancholie den Künstler erfasst, er hatte zuvor wenig Aufträge erhalten, er verarmte und verbrachte die letzten Lebensjahre in einem Kloster, wo er Zuflucht und Hilfe fand.

Allein, ohne treue Gefährten und unruhig im Geist, dazu verarmt, weil ohne Aufträge oder Auftrittsmöglichkeiten, wie viele Gegenwärtige fühlen sich so angesichts des zweiten Coronajahres mit allen Einschränkungen und wie sehr tut das weh besonders zu Weihnachten, dem Fest des Friedens, den die Engel verkündigen, dem Fest  der Freude über die Geburt Jesu Christi.

Von Weihnachten erzählt Lorenzo Lotto vor aller Melancholie in seinem Bild hinreißend schön und eigen. Mir ist, als sei das Bild der in Farben, Gestalten und Formen gegossene Engelsruf
 „Fürchtet euch nicht.“

Zwei Engel sind in den Stall eingekehrt, sie  schirmen und schützen die Hirten, die aus dem Dunkel ihres Lebens sich aufgemacht haben um das Kind anzubeten.
Ein Engel hat seine Hand auf die Schulter eines Hirten gelegt.
„Ich stärke dich, ich helfe dir auch, ich erhalte dich durch die rechte Hand meiner Gerechtigkeit“(Jesaja 41,10) sagt Gott und ist durch Engel nah, so will ich es verstehen auf mein Leben hin.

Der andere Engel vor dem Fensterkreuz guckt mich an, so als wolle er sagen: Gib mir die Trauer und die Last dieses Jahres, ich helfe dir, komm herein in den Stall, hier bei Ochs und Esel in  der Krippe findest du den Heiland deines Lebens.

Ich trete mit den Augen ein und suche das Zentrum, die Mitte. Ich finde ein dunkles Feld, ein fast schwarzes Loch.
Wer oder was macht die leere Stelle aus in meinem Leben, warum ist hier im Zentrum kein Licht wie auf anderen Bildern?
Das Kind ist nach unten an den Rand gerückt, oder trägt es als ein Fundament in all seiner Schwachheit das ganze Bild, die ganze Welt?
„Einen anderen Grund kann niemand legen, als den, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus“ heißt es bei dem Apostel Paulus über Jesus (1. Korinther 3,11).

„Mary did you know...,“ heißt es in einem jüngeren Weihnachtslied, „Mary did you know, your babyboy is Lord of all creation.“
Maria wusstest du, dass dein Baby der Schöpfer der Welt ist.  Und : „...when you  kissed him, you kissed the face of God.“ Wenn du dein Baby geküsst hast, hast du Gottes Gesicht geküsst.  

( www.youtube.com/watch )

Der menschgewordene Gott liegt gewindelt auf dem hartem Holz im rissigen Stroh der Krippe.
Maria hat ihren Umhang als ein schützendes Laken unter das Kind gelegt, ihre Hände sind zum Gebet gefaltet. Voll Liebe beugt sie sich über das Kind,

Josef hält ihr den Rücken frei und in der rechten Hand den Wanderstab.
Welche Wege wird die Heilige Familie gehen müssen?
Wenige Tage später flüchten sie sich hin nach Ägypten vor den Schergen des Herodes.

Zwei Tiere stehen im Stall, „Ochs und Esel kennen die Krippe ihres Herrn“ heißt es in alten Schriften (Jesaja 1,3), ein drittes Tier wird dem Kind wie ein Geschenk hingehalten von einem der Hirten. Es ist ein junges Schaf, nicht mehr Lamm und noch nicht Muttertier. Das Kind greift nach ihm, als wolle es mit ihm spielen und sich wärmen an der weichen Wolle.
Mitten in der Szene der Anbetung hebt das Kind zum Spielen an. Auch das ist Weihnachten, dass Zeit dafür ist und darin schönes Miteinander.
Kein biblischer Autor, aber Friedrich Schiller sagte einmal in seinen Briefen über die ästhetische Erziehung des Menschen:
„Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“

Wie schön ist es, wenn Mensch und Tier so miteinander  so weit harmonieren, dass vertrauensvolles Spiel möglich ist und der Mensch den Lebensraum der Tiere schützt, achtet und bewahrt.

Der Esel steht in der offenen Tür. Über der Weite des Himmels ist die Nacht schon im Schwinden.
Wie lange wird das Kind noch spielen können?
Irgendwann melden sich Hunger und Schlaf, irgendwann kommen die Weisen aus dem Morgenland, irgendwann bricht die Familie auf.

Viele Jahre später wird man sagen und singen „Christus ist das Lamm Gottes“ (Johannes 1,29), das sich für uns geopfert hat um uns zu erlösen aus aller Schuld und Verlorenheit.
Ist all das schon zu ahnen in dem Bild , dem alten?

Ja, ich finde es dort wieder und spüre dabei, wie sehr wir die Botschaft von diesem Kind und Heiland brauchen in unserer Zeiten Welt.
Die Risse, die durchs Land gehen werden größer, Mauern werden höher, Grenzen dichter. Gemeinsamkeiten schwinden,  Angst vor der Zukunft  schlägt um in Hass.

Das Bild mit der dunklen Mitte stellt keinen Sog ins schwarze Loch vor Augen sondern einen ringförmig schönen Ausweg.
Gegensätze verbinden sich dabei,  Dunkel und Licht, Hirte und Madonna, Mensch und Tier, Engel und Wandersleut, Alt und Jung.
In der Begegnung mit Gott wächst Frieden und Gott ist nahe, so nahe, dass er dein Herz berührt durch die Geburt des einenseines Kindes. Darin liegt Zukunft und Überwindung aller Furcht. Das jedenfalls höre ich in der Geschichte der Weihnacht und das nehme ich mit aus dem alten Bild. Amen