Miserikordias Domini, 18. April 2021 - Eine Predigt über Psalm 23 von Pastor Stefan Henrich - Von Hirten, Fußballtrainern und Nachtherbergen für Wegwunden

Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen

Liebe Gemeinde,
der 23. Psalm ist ein Herzstück der Bibel. Wohl wenige Worte in ihr sind so bekannt wie die vom guten Hirten. „Der Herr ist mein Hirte...“ ist jahrtausendealte schönste Bibelpoesie, leicht über die Lippen gehende Liebeslyrik der besonderen Art Gottes.  

Da ist eine Bewegung im Psalm, unnachahmlich tief und schön, versehen mit alten Bildern und neuen Zusammenklängen. Das Schaf hat eine Seele, der Hirte ist kein Quacksalber sondern füllt den Becher und salbt das Haupt. Lebensreise, Zeitreise, finsteres Tal und grüne Aue. Du bist bei mir, und wer sind meine Feinde? Wen habe ich als Gegenüber und wer liebt mich, sorgt für mich, wer holt mich zurück, wenn ich mich verlaufen hab, wer deckt mir den Tisch, und backe ich mir meinen Kuchen selber oder werde ich eingeladen zum Picknick im Freien?

Das archaisch schöne Bild eines Hirten weitet sich zur Naturbeobachtung an der grünen Aue, da fließt frisches Wasser, aber auch das finstere Tal ist nah, wo Todesschatten lauern.
Es folgt ein Kernsatz voller Vertrauen, um den alles in diesem Psalm kreist „Denn du bist bei mir", Hirtenherdenwelten füllen das Bild, ... dein Stecken und Stab trösten mich“.
Überraschenderweise dann wandelt das Hirtenbild sich hin zur Königssalbung und zur Vorstellung eines willkommenen Gastes, der ich bin.
Ich bin das Kind, das zum König gesalbt wird und dem der Becher gereicht wird. Ich finde Zuflucht und Ruhe für meine Seele, denn ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar. Hier ist der Tisch für mich gedeckt mit orientalischen Köstlichkeiten und Spezialitäten Babylons. Ich bin den Todesschatten und dem dunklen Tal entronnen, bin frei wie ein Vogel und doch geborgen und gut geleitet durch Gott, dem Schöpfer von Himmel und Erden, der mir guter Hirte ist.

Kein Wunder, das Worte des 23 . Psalms bis heute immer wieder gern als Tauf- oder Konfirmationsspruch gewählt werden oder dass wir oft Abschied nehmen mit diesen Worten, die uns einen neuen Raum der Zeit-Ewigkeit Gottes eröffnen und damit dem tiefen Grund unseres Glaubens Ausdruck verleihen. Nur zur Trauung kommen die Worte seltener vor.  „Der Herr ist mein Hirte“ würde zur Eheschließung womöglich mißverständlich klingen und aus der Zeit gefallen.
Aber in Wohnungen älterer Leute kann man öfter noch länglich breite schmal gerahmte Bilder vom guten Hirten und seinen Schafen unter leicht gewölbtem Glas sehen, meist in den Schlafzimmern. Und vielleicht kennen einige auch noch aus dem Kindergottesdienst das Lied „Weil ich Jesu Schäflein bin, freu ich mich nur immerhin über meinen guten Hirten ...“
Wir hören jetzt ein anderes Lied, einen Kanon vom guten Hirten aus dem Jahr 1960. (Nr. 86 in „Himmel, Erde, Luft und Meer“, Beiheft zum Evang. Gesangbuch der Nordkirche)            ***


Liebe Gemeinde,
es gibt immer wieder Versuche, den 23. Psalm zu aktualisieren, ihn in die eigene Lebenswelt zu übertragen.
Einen Versuch habe ich mitgebracht, er stammt von einer Konfirmandin, die begeisterte und begabte Fußballerin war. Sie dichtete im Konfirmandenunterricht vor Jahren:

Der Herr ist mein Trainer,
er gibt mir gute Tipps.
Er schickt mich auf ein grünes Spielfeld
und führt mich zum neuen Sieg.
Er gibt mir Stärke.
Er führt mich zum Tor mit seinen guten Ratschlägen.
Und als ich vorbei schoss am leeren Tor,
fürchtete ich keinen Ärger;
denn du bist bei mir;
deine Hilfe und Kraft tröstet mich.
Du lobst mich
vor den Augen unserer Feinde.
Du gibst mir die Kraft mit Beistand
und schenkst mir voll ein.
Sieg und Erfolg werden mir folgen mein Leben lang,
auch wenn ich einzelne Spiele verliere.
Und ich werde bleiben auf dem Spielfeld
des Lebens immerdar.


In meinen Augen ist das eine richtig gut gelungene Aneignung des Psalms in das eigene Leben hinein:
Und doch:  Bei Trainer fällt mir heute gleich das Wort Entlassung oder Wechsel ein:
Rose geht zu Dortmund, „mein Trainer“ (von Eintracht Frankfurt) geht zu Mönchengladbach, Flick geht auch, aber vorerst in sich und weiß noch nicht ob er die Nationalmannschaft übernimmt und Gisdol ist gefeuert.  

Da ist viel Unbeständigkeit im Trainerleben und das gehört wohl auch dazu, unterscheidet den Trainer aber auch vom Hirten. Der Hirte muss keine Siege einfahren, vielmehr muss er verlässlich da sein für seine Herde.
Der Hirte ist immer für die Herde da, er sorgt für die weißen Schafe genauso wie für die schwarzen, er sorgt für  die Lämmer, für die Mutterschafe und auch für die alten weißen Böcke und wenn ein Schaf verloren geht, dann geht er ihm nach und sucht es. So jedenfalls erzählt Jesus und weiß dann von der Freude zu berichten, die im Himmel herrscht, wenn der Hirte das verlorene Schaf gefunden hat und auf seinen Schultern heimträgt.Auf unserer Altartafel ist davon in dem Medaillon linker Hand eine kleine schöne Abbildung zu sehen.

Jesus selber hat den Psalm auf sich gedeutet, er ist der gute Hirte unserer Seelen, er ist da mit seinem Steckenwort und Troststab  in guter und vielmehr doch in schwerer Zeit. Er macht uns zu Königskindern Gottes, die getauft, gesalbt und gesegnet sind.

Gut, dass diese Worte vom guten Hirten aufgehoben sind in der Bibel, wie viel Kraft und Trost über Jahrtausende aus ihnen geschöpft wurde, ist unermesslich.
Gut, dass wir Traditionen haben, in die wir uns hineinstellen dürfen, gut, dass wir nicht alle Texte neu erfinden müssen.

Zum Schluss:
Die Dichterin Nelly Sachs sagte einmal in einem ihrer Gedichte, die Psalmen seien „Nachtherbergen für die Wegwunden“.

Was für ein wunderbares Wort ist das!
Mit den Schmerzen des Lebens darf ich mich im Strom der Worte flüchten zu Gott in das Haus seiner Worte.
Die Psalmen sind dabei wie Heilerde für offene Wunden. Heilerde, die ich finde in Herbergen, die offen stehen wie Kirchen am Rande des Weges, in die ein guter Hirte mich leitet. Es stimmt: Wenn alles andere nicht zu helfen scheint, können die Worte der Psalmen wie von alleine über die Lippen ins Gebet rinnen. Der Psalm vom guten Hirten entfaltet dabei eine ganz eigene Kraft, die Ängste bannt, Vertrauen stärkt und Zuversicht weckt.
Amen