Von Bileam und der Eselin - Eine Lesepredigt zum Sonntag Okuli von Pastorin Sylvia Meyerding

Der Friede Gottes sei mit euch allen!

Liebe Leserin, lieber Leser,
im 4. Buch Mose finden wir eine ganz besondere Geschichte. Auf den ersten Blick märchenhaft, auf den zweiten Blick klug und auf den dritten Blick eine Geschichte aus unserer Zeit. Aber hören Sie selbst:


Am Morgen sattelte Bileam seine Eselin und machte sich mit den Abgesandten König Balaks auf den Weg. Darüber wurde Gott zornig. Während Bileam mit seinen beiden Dienern dahinritt, stellte sich ihm der Engel des Herrn in den Weg. Die Eselin sah den Engel mit dem gezogenen Schwert dastehen und wich ihm aus. Sie ging vom Weg ab ins Feld hinein. Bileam schlug die Eselin und trieb sie wieder auf den Weg zurück.
Da stellte sich der Engel an eine Stelle, wo der Weg rechts und links von Weinbergmauern begrenzt war. Die Eselin sah ihn und versuchte auszuweichen. Sie drückte sich an die Mauer. Bileams Fuß wurde eingequetscht, und wieder schlug er sie.
Der Engel ging nochmals ein Stück weiter und suchte eine Stelle, an der man weder nach rechts noch nach links ausweichen konnte. Als die Eselin ihn sah, legte sie sich hin. Bileam wurde von Zorn gepackt, und er schlug mit dem Stock auf sie ein.
Da gab der Herr der Eselin die Fähigkeit zu sprechen, und sie sagte zu Bileam: „Du hast mich jetzt schon drei mal geschlagen. Was habe ich dir denn getan?
„Zum Narren hältst du mich!“ schrie Bileam. „Wenn ich ein Schwert hätte, wäre es schon längst um dich geschehen.“
Die Eselin sagte: „Schon so lange reitest du auf mir und kennst mich genau. Warst du bis jetzt jemals unzufrieden mit mir?“
„Nein, nie,“ antwortete Bileam.
Da öffnete der Herr ihm die Augen und er sah den Engel mit dem Schwert mitten auf dem Weg stehen. Bileam warf sich vor ihm zu Boden.
„Warum hast du deine Eselin jetzt schon drei mal geschlagen? Fragte ihn der Engel des Herrn. „Ich selbst habe mich dir entgegengestellt, weil du auf einem verkehrten Weg bist. Aber deine Eselin hat mich gesehen und ist drei Mal vor mir ausgewichen. Du verdankst ihr dein Leben, denn wenn du weiter geritten wärst, hätte ich dich getötet, nur sie hätte ich verschont.“
„Ich habe Unrecht getan“, sagte Bileam. „Ich habe nicht gewusst, dass du dich mir in den Weg gestellt hast. Ich werde sofort umkehren, wenn du mit dieser Reise nicht einverstanden bist.“
„Geh ruhig mit diesen Männern“ sagte der Engel. „Aber du darst nur sagen, was ich dir auftrage.“ So folgte Bileam weiter den Abgesandten König Balaks.
4. Buch Mose 22,21-35


Liebe Leserin, lieber Leser! Kommt Ihnen dieser Bileam auch so bekannt vor? Ich denke, manchmal sind auch wir wie Bileam. Ein Plan beschäftigt uns, ein Vorhaben, eine Vision vielleicht. Wir sind wie gepackt von dieser Idee- und sie muss gar nicht schlecht sein. Es mag sich um ein berufliches Projekt handeln oder ein privates, das wir verfolgen. Und da gilt es, alle Kräfte zu investieren, das Ziel möglichst gerade anzusteuern, sich nicht irritieren, nicht ablenken zu lassen.
Und dann geht es uns wie Bileam. Irgend etwas stört uns, bringt uns aus der Bahn, lenkt uns um. Es muss nicht unbedingt Corona sein.
Eine fremde Macht tritt dazwischen. Und wir suchen nach Gründen. Zumeist, wie bei Bileam, bleibts bei den Vordergründen. Und so kommt es, dass wir den Esel oder einen anderen, den wir dann „Esel“ nennen, blindwütig prügeln. Das vielleicht Gott dahinter stehen könnte, kommt uns leider nicht in den Sinn. Dass unser Weg oder gar unser Ziel falsch sein könnte, das schon gar nicht.
Ja, es kann sogar unser eigener Körper sein, der wie Bileams Eselin reagiert. Der seine stumme Sprache mit uns spricht, weil wir ihn missachtet, gequält, geschunden haben, um ihn rücksichtslos unseren Zielen zu unterwerfen. Und wieder prügeln wir rücksichtslos auf ihn ein, ohne zu merken, dass wir uns selbst damit strafen.
Und dann geschieht es- oft erst, wenn wir, wie der Reiter mit dem Esel, zu Boden gegangen sind und noch immer nicht begriffen haben: Plötzlich begegnet uns der Engel Gottes.
Nicht so einer mit Flügeln und strahlend weißem Gewand, sondern in ganz unerwarteter Gestalt: Vielleicht als Herzinfarkt, vielleicht als Tod eines Freundes, vielleicht als Platzen einer uns wichtigen Beziehung, vielleicht als Verlust des Arbeitsplatzes- vielleicht auch als riesengroßes Geschenk, das uns demütig macht und zur Einsicht bringt: Sieh mal, es soll mit dir ganz anders kommen, mit dir und deinen Plänen.
Vielleicht begreifen wir in dem Moment, was Paul Gerhard so unnachahmlich ausdrückte: „Bist du doch nicht Regente, der alles führen soll, Gott sitzt im Regimente und führte alles wohl.“
Wobei „Wohl“ nicht unbedingt in unserem kurzsichtigen Sinne gemeint ist, sondern durchaus in Gottes Sinn, der unser ganzes Leben umfasst, und den wir meist gar nicht oder nur bruchstückhaft erkennen können.
Und da tritt uns dann auch ein anderes Bild vor die Augen. Auch Jesus zog auf einem Esel in Jerusalem ein- und ging dort ebenfalls zu Boden- im nächtlichen Garten Gethsemane. Auch da ging es um das Aufeinanderprallen des eigenen Weges mit dem so ganz anderem Willen, dem er sich gegenüber sah. Der sollte ihn auf den schweren, ausweglosen, bitter- schmerzvollen Weg zum Verbrechertod lenken. Und Jesus lenkte ein. Nicht, weil es sinnlos gewesen wäre, Gott entgegenzuhandeln, sondern letztlich wohl aus tiefer Einsicht in die Folgerichtigkeit und Notwendigkeit des Weges Gottes mit ihm- für uns Menschen.
Und dieses Einlenken lässt und erahnen, wie sich das, was menschlich gesehen sinnlos erscheinen mag, in sein Gegenteil verkehrt. Wie das Unakzeptable, gegen das wir blindwütig vorgehen wie Bileam, im Angesicht der Ewigkeit ganz anders aussieht. Oder: Wie sich unser Verfluchen der Umstände, der Gegner, der Widerstände plötzlich- in Segen und Segnen verwandelt.
Die Bileam Erzählung als Ganzes, mündet in solch eine Umkehr. Bileam, der doch von König Balak gerufen war, um das Volk Israel zu verfluchen- segnet es im Namen Gottes.
Manchmal muss wohl auch uns ein Esel belehren, manchmal ein Engel uns bekehren, damit wir von unserem eingeschlagenen Irrweg umkehren und Fluchen sich in Segen verwandelt. Uns selbst zum Heil und durch uns anderen zum Wohl und zum Frieden. Amen

 

Der abgebildete Esel wurde von dem Holzbildhauer Otto Flath (1906-1987) gefertigt. Er gehört zu einer Weihnachtskrippe. (Photo S. Henrich)