Eine Predigt über Jerusalem, Babel und die Sprachen von Pastor Stefan Henrich

Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen

 

 

 

Liebe Gemeinde,

ich liebe die Pfingstgeschichte und das Fest, das dazugehört.
Da ist so viel Aufbruch und so viel Begeisterung, da gibt es  kaum Vorbereitungen und doch gelingt fast alles, ein Freudetaumel bricht sich Bahn.

Die Ausgangslage ließ das nicht vermuten, da waren eher Trübsinn und Trauer angesagt. 
Jesus war in den Himmel aufgefahren, hatte einen zweiten Abschied genommen auf Erden, die Jünger blieben allein zurück. Was er verheißen hatte, konnte kaum einer glauben. Ihr werdet die Kraft des heiligen Geistes empfangen und werdet meine Zeugen sein. Was immer das bedeuten sollte, blieb vorerst unklar.

Die Jünger Jesu waren dann nach Jerusalem zurückgekehrt, versteckten sich wohl im Gewirr der Gassen an unbekanntem Ort, waren sie doch als Anhänger eines eines zum Tode verurteilten Verbrechers immer noch auf der Fahndungsliste der römischen Soldaten.
Draußen aber auf den Straßen und Plätzen, da tobt ein großes internationales Fest. Aus allen bekannten und unbekannten Ländern waren Menschen gekommen, um das jüdische Wochenfest zu feiern, draußen wogt und babbelt es in bunter Vielfalt, drinnen aber in der Stube, wo die Jünger beisammen waren, haben sie sich abgeschottet.

Da auf einmal ist es, als schlügen die Fensterläden auf, frischer Wind kommt hinein, es braust vom Himmel direkt in die Herzen, feuerzungenschön erstrahlen die Häupter und eben noch Gramgebeugte fangen an zu reden, fangen an zu predigen, als hätten sie ihren Lebetag lang nichts anderes gemacht.

Wie in einem Wirbelsog voller Glück ziehen Feuerzungen und Windsbraus die Menge der Festgäste an. Die vielen Sprachen sind auf einmal kein Problem mehr. Jeder hört die Jünger in der eigenen Muttersprache reden, dabei hatten die doch nie einen Fremdsprachenkurs besucht, was war denn da nur los?

Unbekannte Phänomene lösen Ängste aus, so auch hier:

Zwischen Ratlosigkeit und Entsetzen schwingen die Empfindungen. Einer fühlt sich offenbar erinnert an den Ballermann auf Mallorca vor Corona, da verstanden sich anscheinend auch immer alle und er weiß auch warum: Die sind doch hackevoll, zuviel süßer Wein ist hier im Spiel, Sangria.
Petrus kontert ihn aus, Nein, nein sagt er beschwichtigend vermutlich mit einem Zwinkern in den Augen: Es ist nicht wie ihr meint, die sind nicht betrunken, es ist doch erst die dritte Stunde am Morgen. (Was hätte Petrus wohl gesagt, wenn es abends um 9 gewesen wäre...?)

Petrus stellt mit der Uhrzeit im Rücken  klar: Dieser Zustand ist Sache des Heiligen Geistes.
Was Jesus verheißen hat, wird wahr unter uns, wir sind begabt, ...begeistert, ...entflammt für Gottes Frieden und für seine Gerechtigkeit, was dieser Welt fehlt, kommt jetzt durch Jesu Geist ins Spiel des Lebens.
Erfüllung, Freude und gute Gemeinschaft, - ihr dürft davon weitergeben und Jesu Geist hineintragen in eure Welt hinein. Da ist keiner zu alt und keiner zu jung, die Welt braucht die Träume der Vierzehnjährigen genauso wie sie auf die Träume und Ideen der Vierzig- und Achtzigjährigen nicht verzichten kann.

Generationenübergreifend eint das Pfingstfest alle Nationen, im Grunde ist die Pfingstgeschichte die zurechtrückende Antwort auf die Geschichte vom Turmbau zu Babel.
Dort wollten die Menschen sich einen Namen machen und den Himmel stürmen und vergaßen offensichtlich, was auf Erden wichtig sei zu tun, so verloren sie ihre gemeinsame Sprache und ihr Verständnis füreinander und wurden zerstreut in alle Welt.

Zu Pfingsten geht es andersrum, da  kommt Gottes Geist hernieder auf die Erde und schenkt den Menschen Verständnis und Liebe, Kirche baut sich auf aus lebendigen Steinen und bleibt doch dieser Welt und ihren Aufgaben verpflichtet.
Alle verstehen sich, aber das heißt nicht, dass alle eine Sprache sprechen. Verständnis ist eine Sache des Herzens und des Geistes und keine Sache der Grammatik oder der gelernten Vokabeln

Verständnis zu haben heißt aber auch Verschiedenheit auszuhalten und nicht die jeweils eigenen Meinung als die einzig richtig zu deklarieren. Daraus erwächst viel Unfriede und Streit.

Frage: Ist Babel mit der Zerstörung des Turmes und der Verwirrung der Sprachen das Sinnbild für den Zustand, den wir heute erleben? Wie schwer ist in diesen Tagen das Herz, wenn wir nach Israel und Palästina schauen.

Der in diesem Jahr gestorbenen polnische Schriftsteller Adam Zagajewski hat in seinem Tagebuch ohne Datum ohnen aktuellen Bezug und doch treffend tiefgründig von zwei, vielleicht sogar drei Sprachen geschrieben, die wir sprechen: Und er meint damit keine Fremdsprachen, die wir erlernen müßten. Er meint:
„Es gibt eine Sprache, die ihren Ursprung im Glanz, im großen Traum hat. Diese Sprache wird heute wenig gebraucht, aber sie existiert weiterhin.“

„Eine zweite Sprache“, so Zagajewski, „nimmt ihren Anfang in der Verzweiflung. Das ist die naturalistische Spracher der Feststellung, der treffenden Bemerkung, der scharfsinnigen, kritischen Sprache, die kein gutes Haar an der Beschaffenheit unserer Welt lässt und jede Illusion zerstört. Diese zweite Sprache hört man sehr oft.“

„Und schließlich gibt es noch eine dritte Variante: die der Ironie“ sagt Zagajewski. „Diese Sprache benutzen die Schriftsteller und Sprecher, die sich nicht entscheiden können, welche der beiden ersten sie wählen sollen, also greifen sie vorläufig, provisorisch zur Ironie. Und manchmal bleiben sie bis zum Schluss in ihr verhaftet.“
(Adam Zagajewski, Die kleine Ewigkeit der Kunst, Tagebuch ohne Datum, Hanser Verlag 2. Aufl. 2019, S. 263f.)

Welche Sprache sprechen wir? Viele versuchen sich in die Ironie zu retten und scheitern damit grandios, wie zuletzt der Tübinger Bürgermeister, dessen Ironie kaum einer verstand, als er Dennis Aogo einen Rassisten nannte.

Viele kenne ich, die die Sprache der Verzweiflung mit anschließender Verbitterung sprechen, weil sie kein Land mehr sehen und schon gar keinen offenen Himmel über sich. Viele sagen: Ja , das wird nie was mit dem Frieden in Israel und Palästina. Die Gegensätze sind so tief verwurzelt, dass es immer wieder Gewaltausbrüche geben wird, die sich hochsteigern werden zum Krieg und zum Terror.  
Heißt das, dass alle Friedensbemühungen obsolet sind?

Der Pfingstgeist denkt anders, er lädt ein zur Sprache des Glanzes, die sich im Traum gründet, in der Vision von einer besseren Welt, die vom Reich Gottes ummantelt ist.
Der Glanz der Träume hat die Kraft, Grenzen zu überwinden.

In Israel etwa gibt es einen Rettungsdienst, in dem Juden und Araber zusammen Dienst tun.
United Hatzalah heißt die ausschließlich ehrenamtlich tätige Gruppe von mehr als 6000 Ersthelfern, Sanitätern und Ärzten, die auf Motorrädern innerhalb von 90 Sekunden an Notfallorten sind . Die Männer und Frauen respektieren und achten in ihrem Dienst unterschiedliche Religionen und Kulturen, und tun dabei das eigentlich selbstverständliche: Araber helfen Juden und Juden helfen Araber, da fragt keiner ob du Palästinenser bist oder Israelit.
Wenn Ramadan ist, übernehmen die jüdischen Männer und Frauen den Dienst nach Sonnenuntergang, damit die Muslime essen und trinken können, am Shabbat ist es umgekehrt.

vgl. www.spiegel.de/video/rettungsdienst-hatzalah-in-israel-vereint-juden-und-araber-video-99028295.html , abgerufen am 23.05.2021


Die Sprache der Träume hat die Kraft Grenzen handelnd zu überwinden, ein anderes Beispiel aus der Nähe  ist dieses:
Da war einer vor Corona krank geworden und hilflos, in den letzten langen Monaten richtig missmutig und betrübt.  Der Partner lässt ihn nicht im Stich, sorgt für ihn jeden Tag und jede Nacht, holt Hilfe, wenn die eigenen Kräfte nicht reichen.
Der Realismus  in der Härte der Situation wirkt keine Verbitterung, vielmehr ziehen beide Kraft aus dem Glanz der Erinnerung und der Vorstellung dass es nicht bei dem Leid dieser Welt bleibt, sondern dass himmlische Herrlichkeit auf uns wartet und zuvor tun sie alles dafür, dass es besser wird im Schweren hier in Zeit und Raum dieser Welt.

Auch dieses Beispiel ist für mich erfüllte Pfingstbotschaft, weil Manifestation des Geistes Gottes, der uns hilft. Dieser Geist wirkt Verständnis, Geduld und Trost, Versöhnung und Frieden und wiederkehrende Freude.
Oft geschieht das ganz unspektakulär, aber aus dem Kleinen speist sich das Größere.
Deshalb auch werden wir nicht müde zu beten:

„Komm, Heilger Geist, der Leben schafft, erfülle uns mit deiner Kraft, dein Schöpferwort rief uns zum Sein, nun hauch uns Gottes Odem ein.“ (Evang. Gesangbuch  555)
Amen