Predigt am Volkstrauertag, dem 15. November 2020, von Pastor Stefan Henrich

Römer 8,18-23
Denn ich bin überzeugt, dass dieser Zeit Leiden nicht ins Gewicht fallen gegenüber der Herrlichkeit, die an uns offenbart werden soll. Denn das ängstliche Harren der Kreatur wartet darauf, dass die Kinder Gottes offenbar werden. Die Schöpfung ist ja unterworfen der Vergänglichkeit – ohne ihren Willen, sondern durch den, der sie unterworfen hat –, doch auf Hoffnung; denn auch die Schöpfung wird frei werden von der Knechtschaft der Vergänglichkeit zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. Denn wir wissen, dass die ganze Schöpfung bis zu diesem Augenblick seufzt und in Wehen liegt.


Liebe Gemeinde,

Heute ist der Tag, der Opfer von Krieg und Gewalt zu gedenken, wir bitten für die Toten und nehmen Teil am Leid der Trauernden, wir bitten um Vergebung und um Versöhnung, wir bitten um Gerechtigkeit und um Frieden.  Wir erinnern dabei die Vergangenheit auch um unsere Gegenwart und Zukunft zu bedenken.

Einige wenige Skizzen der ganz anderen Zeit:
heute vor 80 Jahren, in der Nacht vom 14. zum 15. November 1940 zerstörten deutsche Bomber die englische Stadt Coventry und ihre Kathedrale in einem großen Fliegerangriff.
Wenige Tage später kam die überlebende Gemeinde in der ausgebrannten Ruine zum Gottesdienst zusammen.
Der Altar ist aus Trümmersteinen errichtet, verkohlte Dachbalken bilden das Altarkreuz.
In die Chorwand der Kirchenruine hatte der damalige Dompropst Richard Howard einmeißeln lassen: FATHER FORGIVE! - VATER, VERGIB! -.

Der Krieg dauerte an, noch viereinhalb Jahre, dann erst wird der nationalsozialistische Terror beendet sein, die Welt ist mit Krieg überzogen, das schlimmste Verbrechen in der Menschheitsgeschichte war verübt, im  Holocaust sind sechs Millionen Juden alleine ermordet worden.

Hier in den Städten und Dörfern beklagte und beweinte man in den Familien die Kriegstoten, die Männer waren meist als Soldaten an die Front gekommen, so viele kamen nicht zurück, nachher am Gedenkmal werden wir ihrer und aller Opfer gedenken.

Im Oktober ist es 76 Jahre her gewesen, dass meine Großmutter bei einem Bombenangriff unter den Trümmern ihres Hauses lebendig begraben war.
Sie war nach einem ersten Fliegerangriff aus dem Luftschutzkeller auf der Treppe nach oben gewesen, als die Bombe eines weiteren Angriffs traf. Meine Großmutter lag zwischen zwei Treppen eingequetscht in einem kleinen Hohlraum.  Sie wurde ausgegraben und gerettet. Wenige Tage danach kam die Nachricht, dass auch ihr zweiter Sohn gefallen war.
Wir selber können uns oft nur schwer vorstellen, was es heißt im Krieg zu leben, welche Not und wie viel Trauer sich über die Familien, Länder und Völker gelegt hatte.
Der Verstand findet nicht immer Worte das Grauenvolle zu sagen.
 
Unser Gedenken um die Opfer bringen wir vor Gott, ihm vertrauen wir uns an, hören auf sein Wort und bitten um den Geist seines Friedens.

Das  Wort, das für heute als Predigttext aufgegeben ist, reißt in einem ganz anderen Zusammenhang einen weiten Horizont auf vom Leid zum Leben, von Ängsten und Tod zur  Freiheit der Kinder Gottes.
Die Bewegung der Worte kommt von der Vergänglichkeit her und geht auf die Erlösung zu, sehr persönlich mit Bildern schön deutet Paulus an, was er sich erhofft und was er glaubt.
In einem Satz gesagt:
Es wird nicht bei dem Tod dieser Welt bleiben, sondern vielmehr wird die Herrlichkeit Gottes das Leben wiederbringen.

Vor den Schrecken seiner eigenen Vergangenheit hält Paulus daran fest, an die heilvolle Zukunft bei Gott zu glauben. Die Vergangenheit wird nicht ausgeblendet, aber von der Zukunft Gottes her fällt ein anderes Licht auf die Gegenwart.
Wenn wir sagen, dass wir Lehren aus der Vergangenheit ziehen müssen, dann ist das richtig und geboten, - gleichzeitig aber ist das, was Paulus meint auch noch etwas Anderes, Weitergehendes.
Paulus erinnert sich an sein eigenes Leiden: wie er um seines Glaubens willen verfolgt wurde und bestraft, wie er Schiffbruch erlitten hat nicht nur auf hoher See ganz wortwörtlich, sondern auch sonst. Ausgepeitscht wurde er und ins Gefängnis geworfen, Hunger, Tod und Gefahr drohten ihm und all das wirft er hin und sagt, es sei nichts gegenüber der Herrlichkeit, die Gott durch Christus uns erweisen wird.
Paulus lässt den Gedanken zu, dass bei Gott die Verwundungen dieser Welt geheilt werden, dass die Täter nicht über den Opfern triumphieren werden, sondern vielmehr die Opfer aufgerichtet werden.

Wir sehnen uns nach Erlösung aus allen Fesseln des Bösen, und wir werden sie finden, die Herrlichkeit Gottes, die uns frei macht.
Der ganze Todeskreislauf der Schöpfung wird aufgebrochen werden zur Freiheit hin.
Es ist, so sagt Paulus das in einem Bilde schön, als wenn ein Frau in den Wehen liegt und da sind alle Schmerzen und Ängste und Fragen, ob die Geburt glücken wird. Und dann ist es wie eine Explosion alles Guten, ein Schrei und das neue Leben ist da, mein Kind, dein Kind ist da, wir können unser Glück nicht fassen.
Mütter sagen öfter, dass die Schmerzen der Geburt nachher vergessen sind, weil das Glück des Lebens überströmt, und doch liegt darin ja gerade keine Vergessen, sondern vielmehr eine Verwandlung, eine Transformation vom Schmerz zur Freude.
Vom Leid zur Herrlichkeit, die Transformation erhofft Paulus für sich.
Paulus weiß sich gerettet auf Hoffnung hin. Es ist noch nicht da, was wir sein werden, aber als Hoffnungspotential bestimmt das die Wirklichkeit trotz aller gegenteiligen Erfahrung von Tod und Vergänglichkeit. Das Kind weiß auch nichts von dem Leben, was ihm blüht, und doch lebt es ihm entgegen bei der Geburt durch die Geburt.

Hoffen lernen wir durch den Glauben und durch Vertrauen und durch Liebe,- das was wir nicht sehen, erhoffen  wir trotzdem, weil wir es erwarten.

Zum Schluss die Rückkehr an den Anfang:

In dem Schutt und der Asche der Holzbalken der Kathedrale von Coventry  hatten die Leute Eisennägel aus dem 14.Jahrhundert gefunden und aufgesammelt, daraus  formten sie Kreuze, die später in alle Welt als Zeichen der Versöhnung in Kirchen gegeben werden.

Als ich klein war, erzählte, meine Großmutter mir, wie das war, als sie unter den Bombentrümmern ihres Hauses lag. Dass sie da ganz ruhig war und dachte: Wenn ich sterbe, bin ich bei Gott und dann sehe ich meinen Jungen wieder, und wenn ich hier rauskomme, dann weiß ich auch, was ich zu tun habe.
Sie wartete unter den Trümmern auf das, was kam, wohl in Geduld und auch voll Hoffnung.
Liebe Gemeinde, die Erzählung meiner Großmutter war prägend für mein Leben. Sie hat meinen Glauben geformt und das, was ich denke über Krieg und Frieden.
In das Reich Gottes, das mitten unter uns ist, gehören  Krieg und Gewalt, Hass und Terror, Tod und Vernichtung  nicht hinein.
Deshalb bitten wir darum, dass der Friede Gottes unser Herz erreicht und unsere Wirklichkeit bestimmt, wir bitten um heilvolle Zukunft und um  Erinnerung, die die Opfer nicht dem Vergessen preisgibt. Wir bitten Gott, dass er sich erbarmt über Lebende und Tote und dem Bösen wehrt. Amen  

 

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