Frieden kommt nicht von allein - ein weiteres Generationenprojekt unserer Gemeinde St.Gertrud

„Heute wollen alle das neueste Handy, tolle Klamotten, das ist so unwichtig, wenn man hört, wie es damals war“, sprudelt es am Ende aus einer Jugendlichen auf dem Heimweg. „Ob Menschen heute sowas wieder tun können?“

Wie gebannt hängen die Konfirmanden an den Lippen eines älteren Mannes, der als Hitlerjunge die Aufmärsche der SA erlebt hat, und wie Aufsichtspersonen eines Konzentrationslagers mit Lebensmitteln versorgt werden. Ein anderer erzählt, wie er eine Rede von Hitler miterlebt hat. Eine Teilnehmerin erinnert sich an ihr Aufwachsen im Juden-Ghetto: an Lebensmitteln bekamen die Deutschen alles, Polen die Hälfte, Juden nichts. Sie hat Blumen mitgebracht, zum Gedenken an die Opfer. Gespannt umringen einige Jugendliche eine ältere Dame: so berührt, als wäre es gestern, erzählt sie von ihrer Vertreibung und dem verschleppten Bruder, den sie seitdem nie wieder gesehen hat, von Hunger und Armut und Gewalt.

Und heute? Noch nie hat es in Deutschland so lange Frieden gegeben wie heute. Jeder hat zu essen, kann zu einem Arzt und hat ein Dach über dem Kopf, wenn er möchte. Das will uns selbstverständlich vorkommen – aber ist es das auch? Wie unendlich teuer sind Frieden, Recht und Demokratie in unserem Land erkauft.

Du sollst nicht falsch Zeugnis reden, nicht töten, nicht begehren, was deinem Nächsten gehört, nicht andere Götter verehren neben mir… - die 10 Gebote gehören zu den ältesten Texten der Menschheit. Ihre Wahrheit ist gültig bis auf den heutigen Tag. Sie fordern die Würde eines jeden Menschen, so will es Gott. Welcher Herkunft, Hautfarbe und Religion auch immer. Im Konfirmandenkurs erwächst die Idee, mit Menschen das Gespräch zu suchen, die Zeiten der Menschenverachtung erlebt haben. Können wir von ihren Erfahrungen lernen? Die Busfirma Norbert Bischoff, Sollerup, stellt uns, vermittelt durch Diakon Wolfgang John, einen Bus für dieses Generationenprojekt zur Verfügung, kostenlos.

Anmeldungen kommen zögerlich. „Muß das sein?“, „Es war nicht alles schlecht damals“, „Daran wollen wir nicht mehr denken“, sagen einige Ältere zu mir. Andere schweigen. Und nicht jeder Konfirmand erhält die Erlaubnis seiner Eltern für die Fahrt.
Gut 20 Vor- und Hauptkonfirmanden aber fahren dann mit über 30 überwiegend älteren Menschen aus St.Gertrud nach Ladelund zur Gedenkstätte, aus anderen Gemeinden melden sich auch einige an. Eine halbe Autostunde entfernt stand hier für einige Wochen vom 1.11. – 16.12.1944 eines von 87 Außenlagern des KZ Hamburg-Neuengamme. Die meisten der über zweitausend Häftlinge stammen aus den Niederlanden, sie graben in Kälte und Nässe den „Friesenwall“.

Auf Initiative des früheren Ladelunder Pastors wurde eine Gedenkstätte errichtet, heute geleitet von Karin Penno-Burmeister. Sie zeigt uns eine Film-Dokumentation über das Lagerleben, mit über 300 Ermordeten oder an Kälte und Schwäche Gestorbenen, über die Wächter und den Kommandanten SS-Untersturmführer Griem, der sich nach dem Krieg dem Prozess durch Flucht entziehen und bis zu seinem Tod 1971 in Hamburg weiterleben kann.

Wir besichtigen die Gedenkstätte, die Exponate aus der Lagerhaft, und am Ende sitzen wir in einer großen Runde. Erzählungen, Erinnerungen, Fragen: sie berühren bis ins Herz. Kein Verurteilen, auch kein Kleinreden – nur Entsetzen über das, was Menschen möglich ist.

Aus den Gedanken, die man auf der Rückfahrt notieren kann. „Es war sehr interessant und spannend, mit den Älteren zu reden, sich Vieles erklären zu lassen, und auch in die Gefühle einblicken zu können“. „Wir sollen davon wissen, damit es sich nicht wiederholt“. „Grausam“. „Mein Großvater war überzeugter Nazi und meine Großmutter sagte, sie hatte von allem keine Ahnung“. „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. „Was wird mit den neuen Nazis?“ „Wie aufmerksam die Konfirmanden waren, ein wirkliches Gespräch!“ „Immer in Erinnerung behalten. Weitererzählen. Damit sich die Menschen nicht wieder so beeinflussen lassen, die 10 Gebote lehren uns das Richtige.“ „Wenn der Mensch sich zum Allmächtigen macht, leugnet er Gott als seinen Vater und Schöpfer.“

Herzlicher Dank an die Teilnehmerinnen und Teilnehmer.
Christian Landbeck, Pastor

Ein Projekt mit Konfirmanden und Senioren im Kirchenkreis Schleswig-Flensburg
Ausstellung "Kirche feiert! Generationen im Gespräch"
Pressemitteilung zur Ausstellung.

"Was haben wir doch für nette junge Menschen in unserer Gemeinde!" Wertschätzende Rückmeldungen dieser Art fielen häufig nach den Begegnungen der Generationen, die 2010 bis 2011 in neun Kirchengemeinden des Kirchenkreises stattgefunden haben. Mehr als 300 Senioren sind mit ca. 100 Konfirmanden ins Gespräch gekommen über kirchliche Festtage und Traditionen, von Weihnachten über die Konfirmation bis zur kirchlichen Trauung.

"Aufregend!", "total interessant!", aber auch "traurig, vor allem die Geschichten aus dem Krie!", das sind einige der spontanen Äußerungen, die die Konfirmanden über das Gehörte gemacht haben. Auch Peinliches kam zu Ohren: "Peinlich war es, als mitten im Gottesdienst das Handy klingelte", sagte ein Konfirmand. "Es war das Handy meiner Oma."

Ein Ergebnis dieses Projektes ist die Ausstellung "Generationen im Gespräch", die durch den Kirchenkreis wandert und zum 3. Juni in den Gemeindenräumen der Kirchengemeinde St. Gertrud zu sehen sein wird. Foto´s, Gedanken und Erinnerungen von Alt wie Jung dokumentieren unterschiedlichste Erfahrungen mit dem kirchlichen Leben in der Gemeinde. Ein Videofilm zeigt besondere Fotos und Ausschnitte aus den Gesprächen, musikalisch unterlegt mit Kirchenliedern, die auf der Rockgitarre begleitet werden.

Die Ausstellung möchte dazu beitragen, verschiedene Generationen ins Gespräch zu bringen und sich zu begegnen.

Aus der Fülle des gesammelten Materials ist auch ein 40 seitiges Buch entstanden, das bei der Ausstellung erworben werden kann.

Initiiert wurde das Projekt im Rahmen der Konfirmandenarbeit des Kirchenkreises von Jörg Jeske, Pastor für Konfirmandenarbeit.

Gefördert wurde die Ausstellung von der Stiftung Gertrud.

Beteiligt waren die Kirchengemeinden St. Gertrud, Flensburg, Sieverstedt, Haddeby, Quern, Gundelsby-Maasholm, Schlewig-Friedrichsberg, Oeversee-Jarplund, St. Jürgen, Flensburg, in einem Zeitraum von August 2010 bis März 2011.

Jörg Jeske, Pastor für Konfmirmandenarbeit im Kirchenkreis Schleswig-Flensburg. 
Tel. 046352948576
joergjeske@web.de


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