Vom Baum zur Begegnung.
Ein persönlicher Rückblick (von Susanne Brandt im Frühjahr 2021)
Dieses Weihnachtsfest war anders als alle Feste zuvor. Aber wie das mit dem Anderssein so ist: Da ist die Sehnsucht nach dem Vertrauten, das fehlt. Und da ist das Staunen über das Neue, das plötzlich da ist.
In der St. Petri Kirche waren das in diesem Jahr die lebensgroßen Krippenfiguren des Holzbildbauers Johannes Caspersen: Maria, Josef und in der Mitte das Kind.
Aus einem Pappelstamm, herangewachsen in der Marienhölzung, hat der Künstler die Figuren der „Heiligen Familie“ geschaffen, hat Formen aus dem hellen Holz geschält und so ans Licht geholt, was bislang unter der schützenden Rinde als Material und Möglichkeit verborgen war.
Ich stelle mir die Pappel vor: ein schnellwachsender Baum, der gern als Windschutz und zur Stabilisierung von Böschungen angepflanzt wird. Mit seinen aufwärtsstrebenden Ästen wird er als Sinnbild für Sehnsucht und Hoffnung angesehen. Selbst abgebrochene Zweige sind in der Lage, wieder auszuschlagen. In der Mythologie werden der Pappel aber auch Verbindungen zur Unterwelt zugeschrieben. Das Zittern ihrer Blätter lässt an Angst und Schmerz denken. Zugleich gilt die Pappel als weich, aber unbeugsam. Sie verkrümmt sich nicht. Es lassen sich also Hoffnung und Angst, Widerstandskraft ohne Härte schon in der Natur des Baumes ausmachen.
Und - so schien es mir - genau davon erzählen nun die Figuren, die daraus entstanden sind. Wer in Zeiten der geöffneten Kirche vor Maria, Josef und dem Kind im Altarraum innehielt, konnte vom Baum, von seiner schützenden Rinde und dem nackten Holz noch die lebendigen Strukturen erkennen. Ecken und Kanten, Verwundungen und Schönheiten erinnerten an die vertraute Geschichte von der Geburt – und zeugen im Übergang von einem Jahr zum anderen von tiefgreifenden Veränderungen unseres Lebens, die buchstäblich „unter die Haut gehen“.
Dass die Figuren mich und sicher auch viele andere Menschen so intensiv und sinnlich angesprochen haben und als Eindruck und Botschaft bis heute nachwirken, gehört zu den besonderen Erlebnissen des „anderen“ Weihnachtsfestes 2020 in St. Petri: Vom Baum zur Begegnung - so hat sich die Verwandlung des Holzes für mich offenbart.
Denn mit den Figuren begegnete mir etwas zutiefst Menschliches: verletzlich, lebendig, facettenreich, von Hoffnung durchwachsen. Damit gehe ich nun weiter durch dieses Jahr. Wir werden sehen…
Susanne Brandt