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Das Wort zum Sonntag - Ostern 2020

09.04.2020

Ein Ostergedicht von Lothar Zenetti. Hat er bei Ihnen etwas angerührt? Vielleicht eine Saite wieder zum Schwingen gebracht, die lange, zu lange stumm war? Sehnsucht vielleicht? Ein Aufseufzen? Oder ein Aufatmen? Wenn einer sagen kann: Mir ist ein Stein vom Herzen gefallen... Wenn einer nach großen Sorgen, nach Belastungen, nach einer schweren Krankheit endlich wieder aufatmen kann, dann meldet sich das Leben wieder. Mir ist ein Stein vom Herzen gefallen – das ist Ostern!

Doch so weit sind die Frauen am Ostermorgen noch nicht. Als sie zum Grab gehen, um den Leichnam Jesu mit kostbaren Ölen zu salben und ihrem Freund einen letzten Liebesdienst zu erweisen, ihn noch einmal zärtlich zu berühren, da bedrückt sie die Frage: Wer wird uns den Stein vom Grab wegwälzen? Diesen großen Stein, den die Totengräber vor das Grab Jesu gerollt hatten – hart, fest, schwer, unverrückbar... Alles ist aus... Tot ist tot... Wer wird uns diesen Stein wegwälzen, der die Lebenden von ihren Toten trennt? Wer wird uns die Steine vom Herzen nehmen, die uns belasten und bedrücken? Jeder kann solche Seelensteine nennen: Enttäuschung... Kummer... Krankheit... Trauer... Wer wird uns diese schweren Steine vom Herzen nehmen? Damit wir erleichtert aufatmen können?

Die Frauen, die Ostermorgen unterwegs zum Grab sind, Maria Magdalena und die andere Maria, sind bedrückt. Sie denken noch einmal an die Begegnungen mit Jesus zurück, an die beglückende Gemeinschaft mit ihm... Sie denken an das, was sie mit ihm zusammen erlebt haben: Traurige wurden getröstet und haben wieder neuen Lebensmut gefunden... Kranke wurden geheilt; sie wurden gesund, an Leib und Seele... Menschen, die mit ihrer Schuld und mit sich selbst nicht ins Reine kamen, haben die Chance eines Neuanfangs bekommen... Das alles ist nun vorbei. Am Karfreitag haben sie das alles zu Grabe getragen. Tot ist tot.

Das macht traurig. Das tut weh. Und vermutlich sind die Frauen auch enttäuscht... Sie haben sich das alles doch anders vorgestellt, ganz anders... Mit diesen schweren Steinen, die sie bedrücken, die auf ihrem Herzen, auf ihrer Seele lasten, gehen sie zum Grab, um einem Toten die letzte Ehre zu erweisen... Niedergeschlagen, niedergedrückt, ohne Hoffnung... Als sie beim Grab ankommen, trauen sie ihren Augen nicht: Der Stein ist nicht mehr da! Der große, harte, schwere Stein, der die Lebenden von ihren Toten trennt, der ist weggewälzt! Was hat das zu bedeuten? Die Frauen ahnen nichts Gutes...

Fürchtet euch nicht!, hören sie eine Stimme sagen, die Stimme eines Engels, das muss ein Engel sein, der ihnen da, am dunklen Grab, vor diesem schwarzen Loch ins Ohr flüstert: Fürchtet euch nicht! Der, den ihr sucht, ist nicht hier! Er ist auferstanden! Er lebt! Doch die Frauen erschrecken; sie haben Angst und sie fürchten sich. Erschüttert fliehen sie vom Grab. Keine Spur von Osterfreude. Ganz im Gegenteil: Schrecken und Entsetzen und Angst.
Die Auferstehung bringt ihr Leben völlig durcheinander. Nichts ist mehr so, wie es einmal war. Tot ist nicht mehr tot. Alles ist anders. Das macht Angst, große Angst. Von Freude, von Erleichterung keine Spur...

Vielleicht ist es gerade das, was die Ostergeschichten der Bibel so glaubwürdig macht: Dass da eben nicht so getan wird, als ob... Sondern dass da auch – ganz modern - von Zweifeln die Rede ist, von Skepsis, von Unglauben. Und vielleicht ist die Auferstehung auch gar nicht zu glauben; vielleicht ist sie unglaublich, weil sie unser Denken und Fühlen, unsere Erfahrungen und unseren Glauben übersteigt...

Die Frauen brauchen jedenfalls einige Zeit, bis sie das Unfassbare einigermaßen fassen können. Das, was an diesem Morgen geschehen ist, das Osterwunder, das Wunder der Auferstehung. Das braucht seine Zeit, das geht nicht so schnell... Doch allmählich, ganz langsam, dämmert es den Frauen: Ihr Glaube an Jesus Christus ist nicht am Ende; der lässt sich nicht begraben; dieser Glaube steht immer wieder auf... Auch wenn sie am Karfreitag gemeint haben, alles ist aus... Tot ist tot... Am Ostermorgen hat Gott einen neuen Anfang gemacht. Tot ist nicht mehr tot... Die Frauen haben an diesem Morgen die Erfahrung gemacht, dass sich auch die Hoffnung, die Jesus verkörpert hat, nicht begraben lässt. Die Hoffnung, die er bei anderen geweckt hat, die Hoffnung auf neues Leben... Sie steht immer wieder auf. Gott sei Dank!

Ihnen allen frohe und gesegnete Ostern und herzliche Grüße auch vom Kirchengemeinderat!

Ihr Pastor Norbert Siemen