Kleine Auszeit: "Die Gänseblümchen hochdrücken"
19.09.2025
Kleine Auszeit von Lena Modrow aus dem Social Media Team des Kirchenkreises
Als ich so etwa vier Jahre alt war, pflegte meine Oma - von jeher eine Frau mit extrem großem Herzen - bei sich zu Hause eine ehemalige Nachbarin: Frau Spitzmaul. Fast jeden Tag lief ich zu ihr rüber - unser Haus war direkt daneben - um einfach nur Hallo zu sagen oder das zu erzählen, was man als Kleinkind so zu erzählen hat. Bis eines Tages ich mal wieder mit meinem Kuscheltier im Arm angetrabt kam und feststellen musste: Das Bett war leer.
„Wir haben sie zum Friedhof gebracht“, sagte mein Opa, was ich damals etwas kurios fand. Den Friedhof kannte ich gut; war ich doch oft mit meiner Oma dort gewesen, die - immer mit Gartenutensilien ausgerüstet - Blumen pflanzte, die Gießkanne am Brunnen auffüllte, ordentlich um das Grab harkte und mit jedem plauschte, der vorbeikam. Wie in einem großen lebendigen Garten eben.
"Was machte Frau Spitzmaul dann da jetzt?", fragte sich mein vierjähriges Ich. "Die Pflanzenpracht genießen? Sich mit anderen unterhalten?"
Damals hatte ich keine Ahnung, wie nah ich wohl mit diesem Gedanken an der Wahrheit war. Und wie gleichzeitig wohl auch ganz schön weit weg.
Mit steigendem Alter nahm die Attraktivität von Friedhofsbesuchen umgekehrt proportional ab. Auf einmal war das Ganze weniger Garten, mehr Grabstätte. Weniger Leben, mehr Tod. Verständlich, dass man als junger Mensch darauf nicht wirklich Bock hat?
Dass man sich noch ein wenig später nicht nur so ein bisschen gruselt, sondern tief in einem drinnen eigentlich wirklich Angst hat?
Es gibt Redewendungen in unserer Sprache, die wollen es uns etwas einfacher machen, wie zum Beispiel: „Die Radieschen von unten anschauen.“ Aber: Wer sät schon Radieschen auf ein Grab?
Im Englischen heißt es „pushing the daisies“ - die Gänseblümchen von unten hochdrücken. Das ist im ersten Moment vielleicht makaber, aber im zweiten ein schönes Bild: Der Begrabene sorgt für Leben auf dem Friedhof. Für neues Aufblühen.
In vielen Kulturen gibt es diese Bilder. Verstorbene werden zum Donner, zum Wind, zu umherfliegenden Vögeln. Als ich das vergangene Mal auf dem Friedhof war, da hatten Menschen bunte, glitzernde Bänder in die Bäume gebunden und Wimpel aufgestellt. Und mit jedem Windzug zog ein Stück Erinnerung durch die Äste, und irgendwie auch durch jeden, der vorbeiging. Und da war es wieder - das Gefühl vom lebendigen Garten, das ich als Kind hatte, doch zwischendurch irgendwie abhanden gekommen war. Es war ein gleichzeitiges im „Hier und Jetzt sein" - und in der Vergangenheit. Wie ein emotionales Portal zwischen den Welten, bei dem man sich von dem, was war, sanft streifen lassen konnte. Und nun bin ich mir ziemlich sicher, dass meine Vorstellung von Frau Spitzmaul auf dem Friedhof, die die Pflanzenpracht genießt und sich unterhält, gar nicht so falsch war. Denn der Friedhof kann so ein Ort sein. Ein Ort, an dem Verbindungen aufrecht erhalten werden
Am 21. September 2025 findet unter dem Motto "endlich und lebendig" deutschlandweit der Tag der Friedhöfe statt.