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Kleine Auszeit: "Gott weiß, ich will ein Engel sein"

09.06.2023

Kleine Auszeit von Pastorin Rebekka Tibbe, Kirchengemeinde St. Jürgen in Flensburg

Wenn die Engel die Weltherrschaft übernehmen, werde ich von meinem Hund wachgeküsst, so wie jeden Morgen. Ich trinke meinen Kaffee gemütlich auf der Couch und öffne – so wie jeden Morgen – währenddessen Insta und bin nicht nach wenigen Minuten schon glühend wütend, so wie sonst jeden Morgen. Wenn die Engel die Weltherrschaft übernehmen, findet man nur Liebe in den Kommentaren. Es wird denen geglaubt, die Gewalt erfahren mussten und es wird sich mit ihnen solidarisiert. Aussagen wie „Was erwartet sie, wenn sie sich so anzieht und auf dieses Konzert geht?“ fallen niemandem überhaupt erst ein. Stattdessen verklickern himmlische Stimmen jedermann, dass das System das Problem ist. Dass Rape-Culture real existiert und jedes „Du musst dich mehr anstrengen! Sie sagt nur Nein, um mehr Aufmerksamkeit zu kriegen!“ die Kultur der Grenzüberschreitung weiter bestärkt. Wenn die Engel die Weltherrschaft übernehmen, wird tatsächlich Nächstenliebe gelebt und nicht Mächtigstenliebe. Aber Achtung: Dass die Engel die Weltherrschaft übernehmen, liegt in unserer Hand! Denn wenn man dem schlauen Theologen Wilfried Härle glaubt, können wir alle Engel sein. Engel, das ist eine Rolle. Eine Funktion, die wir für unseren Nächsten übernehmen. Also lasst uns als Engel die Weltherrschaft übernehmen, indem wir laut sind für die, deren Wort bezweifelt statt bestärkt wird. Lasst uns als Engel die Weltherrschaft übernehmen, indem wir zuhören, wenn ein Mensch erleben musste, dass ein Nein nicht zählt und die eigene Grenze nicht akzeptiert wird. Lasst uns Engel sein und gemeinsam als Gesellschaft dafür arbeiten, dass man es wirklich gar nicht mehr merkt, wenn die Engel eines Tages tatsächlich die Weltherrschaft übernehmen, und es sich anfühlt, wie an jedem Morgen. Utopie, ich weiß. Aber das ist mein Job.