
Kleine Auszeit: "Hand aufs Herz"
17.01.2025
Kleine Auszeit von Pastorin May-Britt Johannsen, Ev.-Luth. Kirchengemeinden Adelby und Engelsby
Die Presse empörte sich, als der syrische de-facto-Machthaber al-Sharaa, Außenministerin Baerbock nicht die Hand reichte, sondern diese stattdessen an sein Herz legte und sich vor ihr verneigte. Also genau so begrüßte, wie man es von Menschen mit einem konservativen Religionsverständnis in einem muslimisch geprägten Land erwarten dürfte. Letzteres trifft mit hoher Wahrscheinlichkeit auch auf einen Anführer einer islamistischen Rebellengruppe zu. So rechnete auch Annalena Baerbock bereits im Vorwege nicht mit einem feuchtwarmen Händedruck.
Ein verweigerter Handschlag mag befremden. Denn sein Ursprung liegt in der Dämonisierung des weiblichen Körpers. Ein frauenfeindlicher Akt, der abzulehnen ist. Wer sich aber mal etwas länger in einem muslimisch geprägten Land aufhalten durfte, weiß, dass es sich bei der Begrüßung ohne Handschlag mehrheitlich um eine kulturell bedingte Geste des Respekts handelt.
Den kleinsten Körperkontakt zwischen den Geschlechtern grundsätzlich zu problematisieren, entspricht gewiss auch nicht meinem Menschenbild. Und dennoch: Woran sich Frauen- und Marginalisiertenrechte wirklich messen, entscheidet sich in anderen Situationen. Wir alle werden Zeug*innen davon werden, wer sich wie beteiligen darf in einem neuen Syrien. Dafür braucht es einen klaren Geist der Unterscheidung: Was ist von Menschen - und was von Gottes Hand? Reich mir deinen Finger, Gott. Ich brauche nicht die ganze Hand. Eigentlich reicht mir schon dein Fingerabdruck. Ich weiß ja: von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir.
Beim zweiten Treffen mit dem syrischen Außenminister gab es dann übrigens den, ach so wichtigen Handschlag. Wer Frieden will, baut Brücken, auch über kulturelle Unterschiede hinweg. Und mal Hand aufs Herz: den wollen wir doch alle. Insha’Allah.