Foto: Kristina Löwenstrom

Wort zur Woche: "Schlechte Geheimnisse"

10.06.2022

Wort zur Woche von Pastorin Kristina Löwenstrom, Ev. Luth. Kirchengemeinde Tarp

Oft vertrauen mir Menschen ihre Geheimnisse an. Eine Mutter erzählt: „Ich glaube, ich kann mein Kind nicht richtig lieben.“ Manchmal weint sie vor Erschöpfung und sehnt sich nach dem Leben zurück, das sie früher hatte. Ein Mann erzählt, dass er nachts nicht schlafen kann, weil er seine verstorbene Frau vermisst. „Niemand will davon etwas hören“, ist er überzeugt.
Solche Geheimnisse machen krank. Sie fressen sich in deine Träume, bestimmen deine Gedanken bis du denkst, dass du nicht normal bist. Dann kommt die Scham dazu. Du denkst, dass du der einzige Mensch auf der Welt bist, dem es so geht.

Ich verrate dir ein Geheimnis: Das bist du nicht. Hinter geschlossenen Türen werden viele Tränen geweint. Auch in den besten Familien liegt mal eine zentimeterdicke Staubschicht auf dem Boden oder knallen im Streit die Türen. Viele Menschen trauern im Verborgenen, weil „es sich nicht schickt“.
Lange Jahre wurde mir eingeredet, dass ich seelisches Leiden verstecken müsse. „Wenn sie erst wissen, dass du in Therapie warst, dann kannst du keine Pastorin werden!“ Dadurch wurde der seelische Druck natürlich nur größer. Wie dumm dieser Ratschlag war, wurde mir erst viel später klar. Ich habe mein Geheimnis erzählt. Fast jede*r konnte mich verstehen. „Ich bin gar nicht verrückt.“ Diese Erkenntnis hat mir das Leben gerettet.

Ich wünsche mir, dass wir unsere ach-so-perfekten Masken fallen lassen. Ich möchte meine Fehler und Bruchstellen weder mit Lügen noch mit geschönten Bildern verstecken. Diese Scheinwelt macht nicht nur mich, sondern auch andere krank. Stattdessen könnten wir einander Freunde sein. Einander trösten, uns gegenseitig durch die Sümpfe des Lebens tragen. Krankheit, Erschöpfung, Trauer und Chaos gehören zu unserem Leben dazu. Das ist doch kein Geheimnis!