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Wort zur Woche: "Sei der Mensch, den du selbst gebraucht hättest"

02.07.2021

Wort zur Woche von Pastorin Kerstin Popp, Kirchengemeinde Schuby

Der Satz auf der Postkarte traf mein Herz, ich musste sie mir kaufen. Zuhause kam mir erst der Gedanke: wann habe ich denn Menschen gebraucht, die nicht da gewesen sind? Bilder tauchen auf aus meiner Kinder- und Jugendzeit. Ja, stimmt: Ich hätte mir von meinen Lehrern gewünscht, von ihnen gesehen zu werden. Nicht nur der guten Noten wegen, gerade deswegen nicht. Sondern für mein Ich-Sein. Das hübsche Kleid, der neue Haarschnitt. Mein Lachen, das immer so fröhlich daherkommt. Warum ich heute so traurig aussehe, ob irgendwas sei? So einen Menschen hätte ich gebraucht, nicht nur in der Schule. Stattdessen habe ich eher Rückmeldungen in Erinnerung, was ich noch lernen muss und wo ich noch besser werden könnte.

Gewesen. Denn nun geht es um das Heute: Bin ich der Mensch, den ich damals gebraucht hätte? Gehe ich durch die Welt, immer mit einem wertschätzenden Blick für den Menschen vor mir?

Das sind ja nicht nur Nettigkeiten und Komplimente, das ist ja noch relativ einfach. Jemanden „richtig“ sehen heißt, dass ich mich zu sagen traue: „Ich sehe, dass du traurig bist. Oder: Kann es sein, dass du mit deinen Gedanken gerade woanders bist? Oder: Kann ich dir behilflich sein?“ So einfühlsam gefragt wehren manche eine Antwort ab. Weil man ihnen zu dicht kommt. Dann ist eher der Abstand das, was sie brauchen. Ich kann also völlig falsch liegen und mit gutgemeinten Fragen geradewegs verletzen. Hm. Vielleicht sollte ich den Spruch auf der Karte gar nicht so hoch hängen und mir zugestehen, dass  „Wertschätzung“ auch mal daneben geht. Falsch ist es ja trotzdem nicht. Immerhin habe ich mir die Frage gestellt, wen ich gebraucht hätte, und erkannt: diese Menschen gibt es heute in meinem Leben.