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Wort zur Woche: Was ist "die Wirklichkeit"?

04.02.2022

Wort zur Woche von Pastor Christoph Tischmeyer, Kirchengemeinde Angeln-Süd / Stille & Meditation

Auf diese Frage könnte man eine rasche Antwort geben: Wirklichkeit, das ist die Summe dessen, was ist und geschieht, in jedem Augenblick. Sie im Ganzen zu erfassen, ist uns als einzelnen Menschen nicht möglich. Wir bekommen jeweils nur einen winzigen Bruchteil mit, eben das, was wir gerade wahrnehmen oder wahrnehmen können. Wenn ein geliebter Mensch stirbt, dann ist meine Wirklichkeit eingetrübt durch die empfundene Trauer. Wenn ich gerade großes Glück erfahre, dann ist meine Wirklichkeit durchleuchtet von größter Freude, dann tritt in meiner Wahrnehmung aller Tumult der Welt in den Hintergrund.

Mir scheint, im Augenblick würden viele Menschen ein eher düsteres Bild der Wirklichkeit zeichnen; weil sie viel Unsicherheit und Angst erleben. Die Stichworte sind: die russische Drohkulisse an der Grenze zur Ukraine, Corona und der Klimawandel. Es droht der Verlust der Mitte, einer tiefen Gewissheit, die uns trägt. Da erscheint es mir hilfreich, mir bewusst zu machen, dass „die Wirklichkeit“ weit größer ist als das, was wir gerade vor Augen haben und erleben. Zu unserer Wirklichkeit als Menschen gehört noch eine zweite Dimension, und das ist „unser individueller Anteil am Unzerstörbaren, Unbedingten. Wir sind nicht nur Vereinzelte, Gesonderte, wir sind auch ewige Beständigkeit.“ (Balthasar Staehelin). Wir sind verbunden mit allem Leben – und mit Gott, dem Urgrund. Paulus sagt es so: „In Gott leben, weben und sind wir.“ Und dies können wir erfahren und spüren durch Übung, Stille, inneres Beten. Wahrscheinlich war es das, was Jesus meinte, als er sagte: „Das Reich Gottes, es ist mitten unter euch!“ Die „größere Wirklichkeit“ lässt uns Freude und Sinn erfahren, die über die Alltagswahrnehmung hinaus geht. Wir können gar nicht „aus Gott herausfallen“.

Meister Eckhart schreibt: „Es sprechen manche, sie hätten’s nicht. Da erwidere ich: Das ist mir leid. Ersehnst du es aber auch nicht, das ist mir noch leider. Könnt ihr es denn nicht haben, so habt doch ein Sehnen danach! Mag man aber auch das Sehnen nicht haben, so sehne man sich doch wenigstens nach einer Sehnsucht.“