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Wort zur Woche: "…wer betet denn so?!"

08.04.2022

Wort zur Woche von Pastor Lars Wüstefeld, Kirchengemeinde St.Christophorus Ostangeln

Letztens habe ich ein ausformuliertes Gebet von mir online gestellt.
Nicht auf die Gemeinde-Seite, sondern in ein Forum. Ich habe es mit Kolleg*innen geteilt, es zur Diskussion gestellt – weil mir öffentliches Beten in letzter Zeit sehr schwerfällt.In meinem Kopf ist Chaos, ich fühle eine große Zerrissenheit. Fast unmöglich, da klare Worte im Gebet zu finden, weil sich jeder Satz irgendwie unfertig und halbgar liest.

Vor zwei Wochen kam eine kleine, ukrainische Familie in unsere Gemeinde; natürlich nicht nur eine, aber diese zog bei uns ein. Die bereitgestellte Wohnung im Gemeindehaus hat sich wie von selbst eingerichtet, so groß war die Hilfsbereitschaft. Sagenhaft. Als ich die Familie dann am Freitagnachmittag besuchte, wurde mir meine innere Zerrissenheit auf einmal greifbar: Dankbarkeit und Freude, helfen zu können. Bestürzung über das Wissen, dass es an der Situation überhaupt nichts ändert. Und schließlich, nach ein paar Minuten, auch das noch: Realitätseinbruch – denn die Menschen, die mir da gegenübersitzen, haben alles verloren und bangen um Freunde und Verwandte zu Hause. Nichts ist gut.

Abends, am Schreibtisch, entstand dann dieses Eingangsgebet für den Sonntagsgottesdienst:

(…)Danke dafür, dass wir in Sicherheit leben dürfen, während andere alles verlieren und um ihr Leben fürchten müssen. Danke dafür, dass wir mehr haben, als es zum Leben braucht, während andere in Armut sind.(…)

Sie ahnen es vielleicht – diese Zeilen wurden von meinen Kolleg*innen ziemlich scharf kritisiert. Da waren Kommentare dabei, wie: „Wer betet denn so?!“. Eine andere schrieb, sie würde die Wiedersprüche gerade selbst kaum aushalten, da sei dieses Gebet eine echte Zumutung.

Und so ist es auch. Die Ambivalenzen der Welt aushalten zu müssen, ist eigentlich unzumutbar. Aber so lange sich Menschen in Gewalt verstricken, ist es eben auch Menschenaufgabe, für eine bessere Welt zu kämpfen – und das geht nur mit offenen Augen für das Unrecht und das Leid. Und, ganz ehrlich: Nicht dankbar zu sein für die Sicherheit und den Wohlstand, in dem ich leben darf, während immer noch so Viele unsagbares Leid erfahren müssen – es würde mich wahrscheinlich gänzlich zerreißen!

Mir hilft es sehr, all dies mit Gott zu besprechen. Ihm zu sagen, wie es mich bedrückt, was gerade geschieht. Wie ich mich ein bisschen als Heuchler fühle, weil woanders ja schon so lange Kriege toben; Kriege, die ich immer wieder mit der Zeit gelernt habe, auszublenden. Ihm zu danken, dass es mir und meiner Familie gut geht. Ihn zu bitten, dass es auch weiterhin so sein möge. Und, dass sein Frieden endlich kommen muss, weil wir es einfach nicht hinbekommen.

Ich habe das Gebet für den Gottesdienst schließlich doch entschärft: Gott, es ist nicht leicht, das Leben zu feiern, wenn woanders Krieg und Zerstörung herrschen. Aber aus dir ist das Leben und du bist die Quelle aller Hoffnung: Darum gib deinen Geist und mach uns stark im Glauben, dass wir deinen Trost in die Welt tragen können.