Der Margarethenschrank in Munkbrarup
Wer das Gemeinschaftshaus der Laurentiuswohnanlage (kurz Brombeerhof) betritt, dem fällt er wohl ins Auge, der schlichte 167 cm hohe, 99 cm breite und 55 cm tiefe Holzschrank. Oben ist er verziert mit dem Bild einer jungen Frau aus dem Ende des 19.ten Jahrhunderts. Innen hat er vier Einlegebretter. Diese Schränke wurden in Norderbrarup von Tischlermeistern hergestellt. Ihre Geschichte sei hier beleuchtet.
Die junge Frau ist Margarethe Jacobsen, einzige Tochter des wohlhabenden Hufners Johannes Jacobsen aus Norderbrarup. Sie starb früh an Tuberkulose. Ihr Vater hat sie gepflegt. Er ist mit ihr auch in die damals bekannten Lungenkurorte Davos und Andreasberg gereist. Trotzdem starb sie 1883 im Alter von 23 Jahren.
In damaliger Zeit war es mit der Krankenpflege auf dem Land nicht gut bestellt. Dies Problem erkannte Jacobsen und beschloss, einen Krankenpflegeschrank zu stiften. Zur Erinnerung an seine Tochter Margarethe sollte diese Einrichtung Margarethenspende heißen und für jedermann kostenlos verfügbar sein.
Im 19.ten Jahrhundert gab es zwar schon ausgebildete Ärzte in Schleswig-Holstein, aber diese praktizierten in der Regel in den Städten. Auf dem Land gab es kaum eine medizinische Versorgung. Landärzte hielten Sprechstunden an festgelegten Wochentagen ab, aber an das Bett gefesselte Patienten konnten dort kaum hingelangen bzw. der Transport mit Pferdefuhrwerken war zeitaufwändig und teuer. So wurden sie zu Hause gepflegt. Eine gesetzliche Krankenversicherungspflicht fehlte bis 1914 in ländlichen Gegenden meistens. So mussten hohe Arztkosten bezahlt werden. Kranke Arbeiter zählten auf dem Lande nicht mehr mit. Sie waren „überflüssige“ Esser. Wurde der Arbeiter wieder gesund, konnte es geschehen, dass ihm die ausgefallenen Arbeitstage auch noch vom Lohn abgezogen wurden.
Kranke wurden von Laien mit Hausmitteln behandelt oder manchmal auch mit Mitteln, die bei Pferden und Kühen verwendet wurden. Nicht alle Naturheilkundigen (meistens Frauen) waren wirklich kompetent, sondern es gab viele Scharlatane oder Quacksalber darunter.
Wer eine Zahnbehandlung benötigte, musste sich im 19. Jahrhundert noch oft einem Barbier (Friseur) anvertrauen.
Wunderarzneien und Geheimmittel bestanden oft aus Seife, Teer, Glyzerin, Erbsenmehl, Zucker oder Rhabarber. !873 gab es 27 Landapotheken in Schleswig-Holstein, 1886 immerhin schon 37 an der Zahl. Hebammen waren zahlreicher als Ärzte. Doch dauerte es oft Stunden, bis diese bei ungünstiger Witterung bei der Gebärenden erschienen.
Krankenhäuser waren für die nicht versicherte Landbevölkerung bei einer durchschnittlichen Verweildauer von 28 Tagen und einem Tagespflegesatz von 1,30 bis 1,50 Mark im Jahr 1906 zu teuer. Im Übrigen gestaltete sich der Transport des Kranken dorthin schwierig.
So wurde die Margarethenspende von 1894 bis 1940 zu einer wichtigen Wohlfahrtseinrichtung.
Die Schränke enthielten Wannen zum Baden, Wärmflaschen, Inhalationsapparate, Urinflaschen, Injektionsspritzen, Scheren, Steckbecken (Bettpfannen), Verbandsmaterial, Schnabeltassen, Rückenstützer, Augentropfenzähler, Milchzieher mit Gummiball, Spuckbecken, Eiterbecken……Sie standen in Pastoraten und Schulen und wurden von Pastorenfrauen, Diakonissen, Angehörigen der vaterländischen Frauenvereine oder auch Gemeindeschwestern benutzt und betreut.
Der Inhalt konnte unentgeltlich von jedem Bedürftigen ausgeliehen werden. Durch die Arbeit mit den Schränken wurde das Wissen um Hygiene und Vorsorge verbreitet. Die Gerätschaften mussten nach Gebrauch gesäubert oder sterilisiert werden. Der Einsatz der Geräte selber trug zur Verbesserung der Krankensituation erheblich bei, siehe Bettpfannen, Steckbecken, Schnabeltassen.
Im Juni 1901 beschloss der Vorstand der Landesversicherungsanstalt SH sich mit 60 Mark an einer Margarethenspende zu beteiligen. Man beurteilte die Schränke inzwischen von staatlicher Seite aus als ein „wertvolles Mittel auf dem Gebiete der vorbeugenden Heilfürsorge“. Ein Schrank kostete 200 Mark, der Jahresbeitrag im „Verband schleswig-holsteinischer Margarethenspenden“ 50 Pfennige.
Nach dem Machtwechsel im Jahr 1933 war der Bestand der Organisation gefährdet, weil die der NSDAP „angeschlossene“ Nationalsozialistische Volkswohlfahrt ihren Anspruch auf die uneingeschränkte Führungsrolle in Wohlfahrtspflege und Fürsorge sowohl innerhalb der Partei wie auch gegenüber den Trägern der freien Wohlfahrtspflege erhob. Ab 1940 schrumpfte der Verband und stellte seine Arbeit nach einigen Jahren ganz ein.
Der Munkbraruper Schrank stand nach Auskunft der letzten Gemeindeschwester der Kirchengemeinde Munkbrarup zuerst im alten Pastorat. Als sie die Diakonisse, ihre Vorgängerin, 1968 ablöste, bekam sie den Schrank zu sich in ihre Privatwohnung. So entging der Schrank vermutlich auch dem Feuer, welches im alten Pastorat 1977 ausbrach und zu seinem Abbruch führte. Ein Büro hatte sie nicht, sie arbeitet von zu Hause aus, Kinder und Ehemann halfen mit, machten z. B. Telefondienst und arrangierten sich im Haushalt mit den unregelmäßigen Zeiten, in denen sie ihren Dienst verrichten musste. Neben einem Diensttelefon bekam sie, nachdem sie den Führerschein gemacht hatte, auch ein Dienstauto. So musste sie die weiten Wege in der großflächigen Gemeinde (Holnis, Rüde Munkbrarup, Ringsberg) nicht mehr mit dem Fahrrad bewältigen. Am Beginn ihrer Tätigkeit hatte die Gemeinde gerade keinen Pastor. Als gelernte Krankenschwester und mit viel Erfahrung durch ihre Tätigkeit im Krankenhaus, versorgte sie die Kranken der Gemeinde nach Anweisung der Ärzte sehr selbständig. Mit den in ihrer Zeit aktiven Pastoren (Hildemann, Nielsen) arbeitete sie vertrauensvoll zusammen. Sie wechselte nicht nur Verbände, gab Spritzen, auch Morphium, beriet die Mütter nach der Geburt der Kinder, sondern passte auch regelmäßig stundenweise auf alle Kinder im Gemeindehaus auf, damit die Mütter einmal Zeit für sich hatten. Auf dem heimischen Herd kochte sie die Spritzen aus und führte zuhause die Pflegeprotokolle für die Einzelabrechnung.
Als die Kirchengemeindegemeinde 1982 ein Haus in der Rimmstraße gebaut hatte, zog der Schrank mit ihr dorthin in ein Büro um. Neben Steckbecken, Nierenschalen, Gummitüchern, Wärmflaschen speicherte sie im Schrank Bettwäsche, Nachthemden, alte Laken oder Ähnliches. So hatte sie bei Bedarf, und besonders für Bedürftige, immer einen Vorrat an Material. Sogar selbstgebaute Nachtstühle oder Gehwagen wurden ihr angeboten, wenn der Patient diese nicht mehr benötigte.
1994 endete die Tätigkeit der letzten Gemeindeschwester in Munkbrarup und ihre Tätigkeit wurde von der inzwischen entstandenen und immer weiter ausgebauten Sozialstation übernommen.
Der Schrank zog nach dem Bau der Laurentiuswohnanlage 1996 in das dortige Gemeinschaftshaus der Kirchengemeinde um. Er ist recht leer, sollte jemand noch passende Gerätschaften in seinem Besitz haben, freuen wir uns über die Spende.
Im „Kleinen Angelner Dorfmuseum“ in Bönstrup gab es einen recht vollständigen Schrank. Dieser ist nach Molfsee in das Freilichtmuseum gebracht worden und wird dort aufgearbeitet und ausgestellt werden.
Bei meinem Besuch im Diakonissenmuseum in der Flensburger Diako fällt auf, dass der Schrank, in dem eine Diakonisse ihr Geschirr/ ihre Habseligkeiten usw. aufbewahrte, genauso wie der Margarethenschrank gebaut ist und ähnliche Maße hat.
Quelle: Sabine Zessin „Die Margarethenspende- Eine Wohlfahrtseinrichtung in Schleswig-Holstein 1894-1940“ Wachholtz Verlag Neumünster 1997