
Neue Anfänge nach 1945?: Wanderausstellung zur kirchlichen NS-Vergangenheit in Schleswig
21.07.2016
Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Norddeutschland setzt die Aufarbeitung der Geschichte ihrer nordelbischen Vorgängerkirchen in der Zeit des Nationalsozialismus und danach fort.
Vom 10. Juli bis zum 2. August laden die Ev.-Luth. Kirchengemeinde Schleswig und der Ev.-Luth. Kirchenkreis Schleswig-Flensburg ein, die Wanderausstellung "Neue Anfänge nach 1945? Wie die Landeskirchen Nordelbiens mit ihrer NS-Vergangenheit umgingen" und das umfangreiche Begleitprogramm im Schleswiger Dom zu besuchen. So genannte "lokale Fenster" der Wanderausstellung nehmen Bezug auf die Vergangenheit in Schleswig. Eröffnet wurde die Ausstellung am Sonntag, 10. Juli mit einem Gottesdienst im Dom und einer anschließenden Matinée, in der die Ausstellungsmacherin Beate Rossié (Berlin) den Eröffnungsvortrag hielt.
Wie viele Institutionen hatte sich auch die Evangelische Kirche längst kritisch mit ihrer Rolle im "Dritten Reich" befasst. Doch was geschah nach 1945? Was wurde aus den handelnden Personen, worüber schwieg man sich im Norden lange aus? Um dieser und weiteren Fragen nachzugehen, hat die damalige Nordelbische Kirche im Jahr 2008 den Historiker Dr. Stephan Linck beauftragte, den Spuren kirchlicher NS-Vergangenheit nicht nur in der Nachkriegszeit, sondern bis ins Jahr 1985 zu folgen - ein Forschungsprojekt, das bundesweit bislang als einmalig gilt.
Ein Ergebnis dieser Forschungsarbeit: Die Wanderausstellung "Neue Anfänge?", die Prof. Dr. Stefanie Endlich, Monica Geyler-von Bernus und Beate Rossié konzipiert und realisiert haben. Sie alle sind Expertinnen, die in den vergangenen Jahren bereits mit mehreren Ausstellungen zum Thema „Kirche und Nationalsozialismus“ von sich reden machten.
Die Ausstellung dokumentiert in sechs Themenfeldern und auf 40 Tafeln die NS- und Nachkriegsvergangenheit der Evangelischen Kirche in Hamburg und Schleswig-Holstein. Unter anderem geht es darum, wie nach den Erfahrungen mit dem totalitären Staat um Wesen und Gestalt der Kirche gerungen wurde. Wie konsequent versuchte man, mit der menschenverachtenden Ideologie des Nationalsozialismus zu brechen? Gezeigt wird der mühevolle Weg von Auseinandersetzung und Dialog über Jahrzehnte, der schließlich zu einer Veränderung der Kirche führte.
Für Schleswig haben der Historiker Stephan Linck und eine regionale Arbeitsgruppe mit Pröpstin Johanna Lenz-Aude, Regionalpastor Joachim Thieme-Hachmann, Pastor Joachim Liß-Walther (Vorsitzender der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Schleswig-Holstein), Altbürgermeister Klaus Nielsky (Vorsitzender der Gesellschaft für Schleswiger Stadtgeschichte) und dem Politiklehrer Ulrich Hadre (Lornsenschule in Schleswig) ein so genanntes "lokales Fenster" mit regionalen Beiträgen konzipiert.
Im Themenkomplex der Ausstellung "NS-Täter und Kriegsverbrecher im Schutz der Kirche" wird es beispielsweise um die Geschichte des Schleswiger Musikers Martin Fellenz gehen, der als SS- und Polizeiführer in Krakau an der Deportation von über 100.000 Juden beteiligt war. In den 50er-Jahren Ratsherr in Schleswig, wurde er 1963 und 1966 als Kriegsverbrecher verurteilt. In seinen späteren Jahren war er als Klavierlehrer, Chorleiter und Komponist in Schleswig und Umgebung tätig.
Auch im Themenfeld "Heimatvertriebene, Flüchtlinge und "displaced Persons" wird es einen lokalen Bezug geben: Hier zeigt die Ausstellung auf, wie sich die Bevölkerungsstruktur und das Leben in Schleswig durch die Heimatvertriebenen und Flüchtlinge von Grund auf verändert hat. So wurde damals beispielsweise das Graukloster zur Stätte von Flüchtlingsgottesdiensten und im Norden Schleswigs entstand ein neuer Stadtteil mit der Flüchtlingskirche St. Paulus.
Beim Ausstellungsthema „Haltung zu Krieg und Wiederaufrüstung“ wird es im "lokalen Fenster" unter anderem um die Gedenkstätte zur Erinnerung an die in Schleswig befindlichen und umgekommenen Zwangsarbeiter aus mehreren europäischen Ländern gehen, die sich im sog. „Rosengarten“, hinter dem Ehrenmal für die Kriegsopfer befindet.
Pröpstin Johanna Lenz-Aude sagt: Ich bin dankbar, dass wir uns mit dieser Wanderausstellung der NS-Vergangenheit in der Kirche stellen und wir mit den lokalen Fenstern auch ein Stück Schleswiger Geschichte dokumentieren. Es geht darum, Erinnerung wach zu rufen und Erinnerung zu bewahren. Die Beschäftigung mit der Vergangenheit kann uns helfen, die Gegenwart zu verstehen und unseren Blick auf das aktuelle Geschehen zu schärfen. Vergessen und Verdrängen erhöht die Gefahr, Fehler zu wiederholen."
Wanderausstellung täglich geöffnet:
Die Wanderausstellung ist vom 10. Juli bis zum 2. August täglich von 9.00 bis 17.00 Uhr im Schleswiger Dom zu sehen, auch werden Führungen für Schulklassen und Gruppen angeboten. Kontakt für Terminvereinbarungen:
Domküsterei St.-Petri, Tel. 0 46 21/ 98 95 95, kuesterei@schleswiger-dom.de
Die Ausstellung wird von folgenden Veranstaltungen begleitet:
- Sonntag, 10. Juli, 10.00 Uhr im St.-Petri-Dom: Gottesdienst zur Eröffnung mit P. Thieme-Hachmann und Team und um 11.30 Uhr Matinée: Eröffnungsvortrag von Beate Rossié (Berlin), Ausstellungsmacherin
- Freitag, 15. Juli, 19.00 Uhr im St.-Petri-Dom: Der Fall Judas. Eine Szenische Lesung nach dem Roman von Walter Jens mit André Eckner
- Dienstag, 19. Juli, 15.15 Uhr in der Domhalle, Norderdomstr. 4: Erzählcafé mit Pastorin Ulrike Lindemann-Tauscher und Pastor Joachim Thieme-Hachmann
- Dienstag, 19. Juli, 19.00 Uhr in der Bischofskanzlei Schleswig, Plessenstr. 5a: Flüchtlingsintegration und Versöhnung. Bischof Reinhard Wester im Wandel der Kirchenpolitik der 1950er und 1960er Jahre. Vortrag von Dr. Stephan Linck
- Freitag, 22. Juli, 21.30 Uhr im St.-Petri-Dom: Domkino - Filmnacht im Schwahlinnenhof: Wir Wunderkinder (1958) und Das Wunder von Bern (2003)
- Sonnabend, 23. Juli, 18.30 Uhr im St.-Petri-Dom: Musikalische Wochenschlussandacht: Manfred Kluge, Johanneskonzert (1954) für Bariton-Solo, Männerchor und Orgel – A Cappela –Ensemble Lübeck (Leitung Hartmut Bethke) / Pröpstin Lenz-Aude, P. Thieme-Hachmann, Klaus Nielsky lesen Texte zum deutschen Widerstand
- Dienstag, 26. Juli, 19.00 Uhr in der Bischofskanzlei Schleswig, Plessenstr. 5a: Operation »SS Exodus 1947«. Lesung und Kommentar über das Schicksal der jüdischen Passagiere der »Exodus 47« mit Pastor em. Joachim Liß-Walther
- Sonntag, 31. Juli, 10.00 Uhr im St.-Petri-Dom: Gottesdienst zum Israelsonntag mit Bischof Gothart Magaard, Nachgespräch zum jüdisch-christlichen Dialog, Leitung Pastor em. Joachim Liß-Walther