Foto: Nadja Jöhnk

Wort zur Woche: „Denk-Mal-Tage“

04.11.2022

Wort zur Woche von Nadja Jöhnk, Pastorin im Kirchenkreis Schleswig-Flensburg

In diesem Jahr stand eine Studienfahrt nach Auschwitz auf dem Programm. Ich hatte mich angemeldet. Doch dann kam der 24. Februar und damit der Angriff Russlands auf die Ukraine. Zu den Fragen, die mir schon vorher von anderen gestellt worden waren: Warum tust du das? Das ist doch schon so lange her! kamen die eigenen inneren Zweifel: Schaffe ich das? Schaffe ich es, inmitten all der schlimmen Nachrichten aus Kiew auch noch Auschwitz zu ertragen? Einige Wochen habe ich mit der Entscheidung gerungen. Und bin im Sommer doch gefahren. Ich bin froh, dass ich so entschieden habe. Denn so habe ich am eigenen Leib erfahren: Der 9. November 1938 und alles, was daraus gefolgt ist, ist nicht einfach ein Datum im Geschichtsbuch. Auschwitz ist eine Wunde, die schmerzt. Es ist kaum zu ertragen, wie weit der Hass auf Menschen gehen kann, die vermeintlich anders sind, weil sie sich kulturell, politisch oder in ihrer Religion unterscheiden. Das ist lange her, könnte man denken. Aber das ist es eben nicht.

Die langen Reihen von Baracken, in denen Tausende von Jüdinnen und Juden, Homosexuelle, politisch Unerwünschte, Sinti und Roma und sogenannte Asoziale gelitten haben und in den Gaskammern gestorben sind, erzählen davon, dass es nie lange genug her sein wird, um zu vergessen. Denn was war, könnte wieder sein, wenn wir nicht aufpassen.

Demokratie ist kein Selbstgänger. Dass wir einander mit Respekt begegnen und die Würde des anderen, der anderen achten, muss immer wieder neu errungen werden. Wieder brennen in Deutschland Flüchtlingsunterkünfte. Die Angst, dass der Krieg uns bisherige Selbstverständlichkeiten nehmen wird, ist groß. Sie ist berechtigt. Aber sie rechtfertigt nicht, dass wir einander die Würde nehmen! Sie gehört jedem Menschen. Gott hat sie uns verliehen – bedingungslos.