Der Rangstreit in Grundhof

 Im 18.  Jahrhundert drehte sich alles um das Königtum und den Adel. Man versuchte den Absolutismus  nachzueifern.  So befahl etwa der dänische König Christian VI. als er 1730 an die Macht kam,  dass alle, die am Christiansborger Schlosse vorbeigingen, den Hut in der Hand tragen mussten. Und wenn Mitglieder des Königshauses ausfuhren, dann mussten entgegenkommende Reiter vom Pferde und Fahrende aus dem Wagen steigen, um ihre Ehrenbezeugung zu verrichten. Diese Betonung des gesellschaftlichen Ranges setzte sich dann auf allen Ebenen fort und führte im Kirchspiel Grundhof zu einem aktenkundig gewordenen Rangstreit.  Einer hielt sich für besser und vornehmer als der andere und dieser wieder als ein dritter, was sich bei jeder Gelegenheit offenbarte. Aber nicht Bildung oder Wissen und andere gute Eigenschaften wurden als Gradmesser des Wertes der Einzelperson zugrunde gelegt, sondern entscheidend war ganz allein der materielle Besitz an Geld und Gut. Die Inhaber der adeligen Güter des Kirchspiels hatten selbstverständlich überall den Vortritt. Nach ihnen kamen die Besitzer der größten Bohls- oder Bauernstellen, weiter kleinere Bauern und zuletzt Kätner und diejenigen, die kein eigenes Haus besaßen.  Zwischen Bauern und Kätnern entstand eine gewaltige Kluft.  Bei Hochzeiten und Beerdigungen etwa war der Gastgeber streng verpflichtet, genau nach Rang, d.h. nach der Größe ihres Besitzes, seinen Gästen bei Tische den Platz anzuweisen. Die Zurücksetzung der Leute geringen Standes trat überall in Erscheinung.  Wenn die Teilnehmer nach dem sonntäglichen Gottesdienste gemeinsam nach Hause gingen und ein Steg überschritten werden sollte, dann musste der vorne Gehende beiseitetreten, nur damit der Besitzer der größten Bauernstelle die Ehre haben konnte, zuerst den Steg zu überschreiten. War dieses geschehen, so folgten die anderen hinterdrein, zunächst die Besitzer kleinerer Höfe, dann die Kätner und zuletzt die Angestellten und die Armen.

 Überliefert ist, dass Pastor Ordorff sich mit viel Eifer dem Kampf gegen diese schlechte Sitte widmete.  Er sah hier einen schlimmen Hochmutsgeist am Werke, der den Menschen ihre Achtung und Würde nimmt.  Wie kann es etwa sein, dass ein junger Bauernsohn von einem altehrwürdigen Kätner Achtung und Ehrerbietung erwartet? Muss nicht andersherum eher das Alter geehrt werden?

Ordorff wurde nicht müde diese Missstände anzuprangern, die er als zutiefst unchristlich empfand. So veröffentlicht er etwa ein den Einwohnern von Langballig gewidmetes Gedicht zu diesem Thema.  Doch hatte er mit seinem ganzen Bemühen zunächst nur wenig Erfolg.  Im Gegenteil, das Übel nahm zu und zeigte sich nun bereits schon in der Kirche. So entstand Streit bei der Frage wer beim Gang zum Abendmahl den Vorrang habe.  Ein besonders hässlicher Auftritt hierbei veranlasste die beiden Pastoren sogar eine Beschwerde an den König zu richten.  Da aber auch dieses Vorgehen keinerlei Erfolg hatte, entschloss sich Pastor Ordorff zu einem ungewöhnlichen Vorgehen.

 Die Chronik berichtet, dass sich in einer Ecke des Kirchturmes ein Gelaß befand, in welchem der Totengräber die aufgeworfenen Knochen aufbewahrte. Von dort her holte er sich heimlich einen Totenkopf, den er mit nach Hause nahm. Am nächsten Sonntag nahm er den Totenkopf unter dem Talar verdeckt mit auf die Kanzel. Dann kniete er nieder und verschwand hinter der Kanzelwand, so dass er nicht mehr zu sehen war. Nur den Totenkopf hielt er in die Höhe und ließ diesen eine Predigt an die zahlreich versammelte Gemeinde halten:

 Die Totenkopfpredigt hatte eine gewaltige Wirkung. Tief erschreckt und erschüttert verließen die Zuhörer die Kirche, und die mündliche Überlieferung berichtet, dass die Gemeinde sich die Predigt zu Herzen genommen und Einkehr und Umkehr gehalten hat. Man vernimmt später nichts mehr von den groben Formen des Rangstreites. Die außergewöhnliche Predigt wurde noch lange mit Ordorffs Namen verbunden. Sie ist damals sofort im Druck in Broschürenform erschienen.  Seit jener Zeit ist diese Predigt viele Male in Zeitschriften und Büchern nachgedruckt worden und hat so die Jahrhunderte überdauert.

 

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 Die Totenkopfpredigt

 

1.      Grundhof, sieh, ei sieh mal hier

Einen aus dem Reich der Toten,

Einer von den Gottesboten

Rufet mich zu dir herfür.

 

2.      Deine Rangsucht, die durchaus

Immer unbezwinglich bleibet,

Wecket, bringet, ja sie treibet

Mich aus meiner Ruh' heraus.

 

3.       Man sieht mich für tüchtig an,

Deinen Rangstreit zu entscheiden,

Dir die Torheit zu verleiden.

Wer weiß, was geschehen kann.

 

4.      Ich will den, der stolz von Sinn,

Nur um eins, nur darum fragen:

Kannst du zuverlässig sagen,

Wer ich einst gewesen bin?

 

5.      Sieh mich an, recht ins Gesicht,

Willst du? Ich will mich umdrehen.

Kannst du es nicht wobei sehen,

War ich Bohlsmann oder nicht?

 

6.      Sollt an meinem Nasenbein

Oder wo der Mund gesessen,

Wo die Ohren weggefressen,

Es nicht noch zu sehen sein?

 

7.      Was und wieviel war es wohl,

Was ich vor besessen habe?

War mein Haus, mein Gut und Habe

Eine Kate oder Bohl?

 

8.      Ei, versuch es, kannst du noch,

Was ich in der Welt gewesen,

Jetzt aus meinen Augen lesen?

Eins von beiden war ich doch.

 

9.      Ist was, dran man sehen kann,

Wo bei freundschaftlichem Essen

Ich mit meinem Rumpf gesessen

Oben oder unten an?

 

10.   Hier ist nichts. Der Augenschein

Kann das beste Zeugnis geben.

Wie kannst du dich denn erheben,

Besser als ein and'rer sein?

 

11.    Komm nur mit ins Knochenhaus,

Da kannst du mehr Nachricht kriegen,

Wie sie durcheinander liegen.

Was kommt dann zuletzt heraus?

 

12.     Dies: es ist kein Unterschied,

Bohl und Rang und Sitz sind eitel,

Das lehrt dich mein kahler Scheitel.

Wozu soll denn doch der Streit?

  

 

Anrede des Totenkopfes an die hoffärtigen Frauensleute in Grundhof.

 

1.      Schau hier, du junges Volk

Vom weiblichen Geschlechte,

Die du in deinem Schmuck

Nicht bei der Demut bleibst,

Mit Seiden Flitterzeug

Und silbernem Geflechte

Am Halse, Brust und Kopf

Gar mächtig Hoffart treibst.

 

2.      Schau her, die du dich gerne

Fein kraus und scheckig kleidest,

Der schönen alten Tracht,

Der Einfalt müde bist

Und in der Eitelkeit

Der Welt die Augen weidest.

Vielleicht, daß du an mir

Was Ungemeines siehst-.

 

3.      Ich bin von Lippen bloß,

Entblößt von Nas' und Ohren,

Die Augen sind mir weg,

Gehirn und Fleisch verzehret.

Die menschliche Gestalt

Hat sich an mir verloren.

Ich bin in deinem Sinn

Nicht mehr des Ansehns wert.

 

4.      Jedoch, da du so gern

Magst vor dem Spiegel stehn,

So tue mal, als wenn

Ich jetzt dein Spiegel wär'.

So sieh mich um und um:

Kannst du hier Moden sehn,

Viel Spitz und Seidenzeug

Und was der Torheit mehr?

 

5.       Siehst du auf diesem Kopf

Künstlich gesteckte Binden,

Ein Viertel breites Band,

Viel alamodisch Zeug?

Läßt sich an mir wohl mehr

Als eine Farbe finden?

Sehn uns're Köpfe wohl

Im Putz einander gleich?

 

6.      Schlag nur nicht, stolzer Mensch,

Vor mir die Augen nieder,

Merkst du etwa an dir

Dergleichen Eitelkeit,

Daß dir ein Totenkopf

Auf einmal so zuwider?

0, stecke vor dir selbst

Nur deinen Kopf bei Seit'!

 

7.      Du siehst an mir es klar,

Wieviel dein Putz bedeut't.

Was scheidet uns nur noch?

Die Lumpen und die Haut:

Wenn dich der Tod, wer weiß

Wie bald, davon entkleidet,

So wirst du eben das,

Wovor dir jetzo grauet-.

 

8.      Ein hingeworfen Aas,

Von Würmern ausgehöhlet,

Ohn', Ohren, Augen, Nas',

Ein ehrenloses Bein,

Wo Haut, Fleisch, Blut und Haar

Und menschlich Ansehn fehlet,

Ein kahler Totenkopf

Im Knochenhause sein.

  

 

Abschied des Totenkopfes.

 

1.      Fahret wohl, ihr stolzen Seelen.

Ihr seht mich nur mit Verdruß.

Ich will euch nicht länger quälen.

Doch, was ich noch sagen muß:

Mensch, ach Mensch von stolzem Sinn,

Was ist dabei für Gewinn?

Du hast nicht mehr weit dahin,

Allwo ich zu Hause bin.

 

2.      Ich will nicht ganz Abschied nehmen.

Grundhof, du kommst an den Ort,

Wo sich keine Köpfe schämen,

Ob sie liegen da und dort.

Unterdeß besinne dich!

Hoffart hält doch keinen Stich,

Hochmut steiget über sich.

Kommt vor Gott, ach denk an mich.

 

3.    Willst du das zu Herzen nehmen?

Gut, wo nicht, und trägest Leid,

Wolltest dich gar heimlich grämen

Über den entscheid'nen Streit,

So, daß Satans Werk und Bild

Mehr als Jesus bei dir gilt,

Müh' und Mittel nur verspillt,

Ei, so tue, was du willst.

 

4.  Sag nicht mehr, so sei's gewesen

Von jeher; es ist nicht wahr!

Die Atteste, die wir lesen,

Zeugen vielmehr offenbar,

Daß du liegest an dem Rang

Krank, so krank, so herzlich krank.

 Rangsucht gehet recht in Schwang.

Wird dir selbst nicht dabei bang?

 

5.      Grundhof, deine Kinder kennen

Mehr den Rang als Christentum.

Und die kaum recht sprechen können,

Streiten sich gar schon darum.

Was ist das doch für ein Geist,

Der dich so sie ziehen heißt,

Sie so früh zum Hochmut reißt!

Wie das Werk, so ist der Geist.

 

6.      Doch wenn sie zu Hause hören

Viel von Bohl und Rang und Mann,

Heißt das nicht, sie Hoffart lehren,

Steckst du sie nicht selber an?

Setzt nicht diese Seelenpest

Sich bei dir so schrecklich fest,

Daß sie sich schon an dem Rest,

An den Kindern sehen läßt?

 

7.      Ich verlange deine Ehre,

Grundhof, im geringsten nicht-,

Wenn ich nur erst wieder wäre,

wo man durcheinander liegt.

Du hast manchen lieben Tag

An dem Range deine Plag.

Statt der Ehren Hohn und Schmach,

Statt der Freuden Ungemach.

 

8.      Wirst du, Grundhof, nicht bereuen

Deine Übermütigkeit,

Will ich dir dies prophezeien,

Daß die Bremse schon bereit-.

Gott nimmt dir vielleicht dein Gut,

Gott hat mehr denn eine Rut'!

Wenn die Brems' dann wehe tut,

Denk an deinen Übermut.

 

9.    Grundhof, Grundhof, tue Buße!
Ruft dir zu ein Totenkopf.

Fall in Demut Gott zu Fuße,

Beug dich als ein armer Tropf.

Du, du bist von Rangsucht voll,

Voll von Haß, von Zank und Groll.

Grundhof, sei nicht länger toll.

Stolzes Grundhof, fahre wohl!

 

10.      Rang, ade. Ich bin dein müde,

Will nun nach dem Beinhaus zu.

Da halt ich mit andern Friede,

Da hab' ich vor andern Ruh'! Rang,

bei dir ist Haß und Streit,

Groll und Unbescheidenheit.

In dem Beinhaus allezeit

Friede, Ruh' und Einigkeit.

 

Echo des Kirchspiels.

 

1.      Tausend Dank, du stummer Lehrer,

Du bist aller Ehren wert.

Nie hab' ich die Wahrheit klärer

Als jetzt und von dir gehört.

Dein vergeß ich nimmermehr.

Ach, das Herze wird mir schwer.

Ach, ich schäme mich nun sehr.

Ach, wenn ich bekehret wär'!

 

2.      Rang, ade. Ich bin dein müde.

Ich will nun nach Jesu zu.

Da find' ich vor dir wohl Friede

Und vor meinem Hochmut Ruh'.

Rang, bei dir ist keine Freud'.

Aber wohl viel Haß und Streit,

In der Demut allezeit

Friede, Ruh' und Einigkeit.

Amen.

  

 

Quelle:      Das Kirchspiel Grundhof im 18. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Heimatgeschichte von Johannes Diederichsen, Lutzhöft. 

Ergänzt und herausgegeben vom Arbeitskreis Kirchspielchronik. Grundhof 2002.

 

 

 

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